Vor 115 Jahren wurde im heutigen Tschechien die Automarke Praga begründet. Anfänglich stellte man schwere Metallbauteile für die Industrie her, beispielsweise Schienen, Dampflokomotiven oder Brückenteile. In den frühen 1900er Jahren widmete man sich auch der Produktion von Straßenfahrzeugen. Neben Autos entstanden und entstehen bei Praga auch Motorräder, Lastwagen und sogar Flugzeuge. Mit dem Praga Alfa gewann die Marke 1933 die 1.000 Kilometer der Tschechoslowakei, ein aufregendes Straßenrennen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte man auf Druck der kommunistischen Staatsregierung nur den LKW- und Getriebe-Bau fort. Autos musste man Škoda und Tatra überlassen. 1989 konnte sich die Marke unter privater Leitung neu aufstellen. Es folgte die Wiederaufnahme des Motorradbaus ab Mitte der 1990er und ab Anfang der 2000er die Produktion von Rallye-Raid-Trucks, beispielsweise für die Rallye Dakar. Auf Renn-Karts (2009) folgten drei Jahre später erste Rennwagen vom Typ R4S und schließlich der aktuell im Praga Cup und einigen Rennserien in Großbritannien, Australien, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten eingesetzte R1, von dem es den straßentauglichen Prototyp R1R gibt. Mit dem neuen Bohema erfolgt nun erstmals seit vielen Jahrzehnten wieder die Präsentation eines Straßenautos.
Drei Kernpunkte bei der Entwicklung des Bohema lauteten: Leichtbau, Kohlefaser und Benzinmotor. Ersteres kann definitiv als erfüllt angesehen werden, denn der neue Supersportwagen bringt fahrfertig mit leerem Tank weniger als eine Tonne auf die Waage. Um genau zu sein sind es 982 Kilogramm. Erzielt wird dies nicht nur durch die konsequente Verwendung von Kohlefaser, sondern auch den Verzicht auf unnötigen Ballast wie beispielsweise ein Infotainmentsystem. Stattdessen möchte Praga mit diesem Extremsportler auf der Rundstrecke Rundenzeiten von reinrassigen GT3-Fahrzeugen angreifen – auf den serienmäßigen Semislick-Reifen vom Typ Pirelli Trofeo R. Hierbei helfen die enorme Torsionssteifigkeit des Carbon-Monocoques, das rennwagenähnliche Fahrwerkslayout und der leistungsstarke Motor hinter den Passagieren.
Beim in Mittelmotorbauweise angeordneten Triebwerk greift Praga auf bewehrte Technik zurück. Das Sechszylinder-Biturbo-Kraftpaket entstammt ursprünglich dem Nissan GT-R. Praga erhält exklusiv nagelneue Motoren aus Japan. Im Bohema ist es an ein sequenzielles Getriebe mit Schaltwippen am Lenkrad gekoppelt und treibt ausschließlich die Hinterräder an. Als Leistungsziel nennen die Tschechen rund 700 PS und 725 Newtonmeter Drehmoment. Die entsprechende Leistungssteigerung erarbeitet Litchfield, ein renommierter britischer Tuner. Zusätzlich erhält das Triebwerk dort auch eine Umrüstung auf Trockensumpfschmierung. Eine Auspuffanlage aus Titan von den Turboladern bis zu den Endrohren entlässt die Abgase mit sonorem Sound nach außen. Für die Feinentwicklung von Antrieb und Fahrwerk vertraut Praga auf die Fähigkeiten des ehemaligen Formel-1- und heutigen Champ-Car-Fahrer Romain Grosjean. In den zurückliegenden Wochen und Monaten drehte er bereits zahllose Runden mit diversen Prototypen auf dem rund sechs Kilometer langen Slovakiaring.
Die Carbon-Außenhaut des Praga Bohema erhielt im Windkanal eines Formel-1-Teams seine finale Formgebung. Stundenlange Feinarbeit an Details wie den Außenspiegeln oder den Luftdurchführungen brachte einen Gesamtabtrieb von mehr als 900 Kilogramm bei 250 km/h ein. Als Höchstgeschwindigkeit gibt Praga bewusst nur knapp über 300 km/h an, da höheres Tempo auf kaum einer Rennstrecke weltweit erreichbar ist. Beim blauen Präsentationsauto sorgen diverse Details in golden lackiertem Duraluminium – beispielsweise an den Abschleppösen oder Türscharnieren – für schöne Kontraste. Das weiße Fahrzeug zeigt derweil orangefarbene Details.
Beim Fahrwerk vertrauen die Praga-Ingenieure auf Pushrod-Aufhängungen, um die Dämpfwirkung so hoch wie möglich und die Bauhöhe so gering wie möglich zu halten. Insgesamt kommt der Bohema auf lediglich 180 Kilogramm ungefederte Masse. Trotz des Verzichts auf adaptive Dämpfersysteme ist Romain Grosjean jetzt bereits von den fahrdynamischen Ergebnissen, die mit den Prototypen auf Straße und Rennstrecke möglich sind, sehr begeistert. Die vorn 18 und hinten 19 Zoll großen Räder mit Zentralverschlüssen sind in der Lage in Kombination mit dem Sportfahrwerk die allermeisten Unebenheiten der Asphaltoberfläche rauszufedern. Eine Carbon-Keramik-Bremsanlage verhilft dem Bohma-Piloten zu hervorragenden Verzögerungswerten. Der 74 Liter große Benzintank ermöglicht ordentliche Reichweiten.
Innen sollen laut Praga zwei ausgewachsene Erwachsene mit zwei Metern Körperlänge Platz finden. Trotz der Konzentration auf Leichtbau gönnt man den Insassen eine ordentliche Klimaanlage. Armaturenbrett und Mittelkonsole bestehen aus 56 individuellen Carbon-Komponenten. Einige sind mit hochwertigem Leder oder Alcantara bezogen. Selbst das Thema Praktikabilität kam bei der Entwicklung des Praga Bohema nicht zu kurz. Wo andere vergleichbare Fahrzeuge nahezu gänzlich auf jegliche Art von Gepäckraum verzichten, bietet das tschechische Auto hinter den Türen zwei jeweils 50 Liter große Staufächer. Hier können beispielsweise zwei Rennhelme oder das maßgeschneiderte Gepäckset untergebracht werden. Die Produktion des Praga Bohema soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 beginnen und ist auf 89 Exemplare limitiert. Preislich soll sich der Supersportwagen bei 1.280.000 € netto einsortieren.