Besuch im Musée National de l’Automobile – Collection Schlumpf

Habt Ihr auch eine Liste von Orten, die Ihr irgendwann im Leben einmal sehen möchtet? Meine enthält, wenig überraschend, neben historischen Städten und einigen Sehenswürdigkeiten, auch diverse Kultstätten der Mobilität. Ein paar davon konnte ich in den letzten Jahren bereits abhaken. Im jüngst zurückliegenden Urlaub kamen zwei weitere hinzu. Über meinen Besuch im Verkehrshaus in Luzern habe ich ja schon geschrieben. Nun kommt mit dem Musée National de l’Automobile einer jener Orte hinzu, die bereits seit frühester Kinderzeit höchste Faszination auf mich ausgeübt haben. Eigentlich war immer angedacht, hier mit meinem größten Fan hinzufahren. Die Entfernung und zuletzt der gesundheitliche Zustand machten dies aber unmöglich. Man kann sich also vorstellen, dass ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge in Mulhouse auf den Parkplatz rollte.

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Für diejenigen Leser, die eventuell noch nie vom Musée National de l’Automobile gehört haben und sich vielleicht auch bereits über den Namenszusatz „Collection Schlumpf“ in der Überschrift gewundert haben, sollte an dieser Stelle eventuell kurz die Geschichte dieses Museums Erwähnung finden. Eines vorweg: Mit den beliebten blauen Comicfiguren hat dieser Ort absolut nichts zu tun. Der Beiname geht auf die Gebrüder Fritz und Hans Schlumpf zurück. Beide betrieben ab 1957 die Textilfabrik HKD sowie Wollspinnereien im Umkreis von Mulhouse. Zwischen 1961 und 1963 kauften sie, teilweise über Mittelsmänner, klassische Automobile auf, die zu diesem Zeitpunkt größtenteils als relativ wertloses Altmetall angesehen wurden. Ab 1965 ließen sie eine ehemalige Lagerhalle der Fabrik in eine Ausstellungsfläche mit rund 17.000 Quadratmetern Fläche umbauen. Hierzu erwarben sie vor dem Abriss der historischen Quartier des Halles in Paris zahlreiche Säulen mit angehängten Leuchten, die nun im Elsass die Dachkonstruktion halten sollten.

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Die Sammlung der Brüder wuchs bis 1976 weiter und umfasste schließlich mehr als 400 Oldtimer, die von eigens angestellten Mechanikern vor Ort restauriert wurden. Insgesamt investierten sie schätzungsweise mehr als 12 Millionen Franc in das Museumsprojekt. Geld, das zu großen Teilen aus dem Firmenvermögen der Textilfirmen stammte. Mitte der 1970er Jahre versank die Textilindustrie in einer Krise, was in Mulhouse dafür sorgte, dass die Arbeiter ihren Lohn nicht mehr erhielten. Sie streikten. Die Gebrüder Schlumpf versuchten, ihre Unternehmen günstig abzustoßen, was misslang. Beide flohen nach Basel. Ab 1977 folgten lange Gerichtsverhandlungen zwischen den Brüdern und den Gläubigern. Mehrere Gerichtsbeschlüsse sahen vor, die Autosammlung zu verkaufen, um mit dem Geld die Arbeiter und die Gläubiger auszahlen zu können. Jedoch fand sich schnell eine zahlungskräftige Interessensgemeinschaft, die für 44 Millionen Franc die gesamte Sammlung kaufte und somit der Nachwelt erhielt. Diesem Trägerverein gehören die Stadt Mulhouse, der Rat des Départments Haut-Rhin, der Regionalrat der Region Elsass, die Industrie- und Handelskammer Mulhouse, der Automobile Club de France, das Komitee des Pariser Autosalons sowie die Automarke Panhard & Levassor (damals Teil der PSA-Gruppe, heute Stellantis) an. Gemeinsam wandelte man diesen Ort in ein nationales Automuseum um, das am 10. Juli 1982 eröffnete. Es ist durch seine Grundfläche eines der größten Automuseen weltweit.

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Mit diesen grundlegenden Informationen ausgestattet und seit Kindesbeinen durch Fotos „angefüttert“ betrat ich die Eingangshalle. Ich erwartete viel und ich darf jetzt bereits vorwegnehmen: Ich hatte dennoch nicht erwartet, dass es so groß ist. Wer schon einmal hier war, wird mich verstehen, wenn ich schreibe: Ich ringe selten mit Worten, aber hier war ich sprachlos. Auch meinem eigenen Anspruch, jedes ausgestellte Fahrzeug in Ruhe einzeln zu fotografieren, wurde ich nicht gerecht – vermutlich wäre ich jetzt noch nicht fertig damit.

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Der Rundgang beginnt mit Vorkriegsfahrzeugen. Und nein, nicht Fahrzeuge aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, sondern vor dem Ersten Weltkrieg sind hier anfänglich zu sehen. Während andere Museen aus dieser Ära vielleicht zwei bis fünf Exponate aufweisen können, ist die Anzahl in Mulhouse hier locker zweistellig. Auf diese Weise wird jedoch auch der technische Fortschritt besonders deutlich, der speziell in dieser Frühzeit des Automobils zu immer neuen Formen und Detaillösungen führte.

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Beim Durchlaufen der vielen Reihen von Fahrzeugen kommt man nach und nach in der Zeit voran. Auch klassisches Spielzeug kommt nicht zu kurz. Ein großer Bereich ist Tretautos in verschiedenen Formen und Größen gewidmet. Einige dieser Modelle entsprechen den ausgestellten Originalautos des Museums.

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Für eines waren die Gebrüder Schlumpf bereits zu ihrer aktiven Sammlerzeit bekannt: Sie liebten Fahrzeuge der Marke Bugatti. Hier spielte vermutlich neben der reinen Begeisterung für die Technik, die Formen und die Rennerfolge auch ein gewisser Lokalpatriotismus eine Rolle. Immerhin liegt Mulhouse nur rund 100 Kilometer südlich von Molsheim, wo bereits vor dem Zweiten Weltkrieg die Bugatti Manufaktur stand. Aus aller Welt sammelten die beiden Brüder Bugattis zusammen und kamen am Ende auf annähernd 100 Exemplare aus fast allen Baureihen, die jemals unter Firmengründer Ettore Bugatti entstanden sind.

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Selbst absolute Raritäten der Marke, die kurz vor oder sogar nach dem Zweiten Weltkrieg debütierten, sind im Museum zum Teil doppelt und dreifach vorhanden. Hierzu gehört beispielsweise der Typ 64, den Bugatti 1939 auf dem Pariser Autosalon vorstellen wollte. Durch den Kriegsausbruch zwischen Deutschland und Frankreich kam es nie dazu. Der einzige vom Werk komplettierte Wagen gehört heute zu den Schätzen des Museums. Ebenso verhält es sich mit dem Typ 73 oder dem Typ 101, die nach dem Krieg unter der Führung von Ettores Sohn Roland entwickelt wurden, jedoch nicht den Geschmacksnerv der Kundschaft trafen. Jeweils in unschuldigem Weiß lackiert stehen sie heute in den Kiesreihen der Ausstellung und erzählen von einer Zeit, die längst vergangen ist.

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Oben sprach ich bereits von den Schätzen des Museums. Dies ist wörtlich zu verstehen, denn in einem abgeteilten Nebenraum zur Hauptausstellungsfläche geht es wirklich um Millionenwerte. Allein hier stehen mehr als 20 Bugatti sowie zusätzlich hochwertige Fahrzeuge aus den Häusern Maybach, Mercedes-Benz, Rolls-Royce, Voisin, Hispano-Suiza, Bentley und Delage. Zentral im Raum präsentiert das Museum die beiden zweifelsfrei wertvollsten Exponate: Zwei von sechs je gebauten Bugatti Typ 41 Royale. Alle sechs Exemplare sind erhalten geblieben und zählen für Experten zu den teuersten Automobilen der Welt – sollte je einer davon verkauft werden. Da diese zwei Nationaleigentum Frankreichs sind, drei weitere Stiftungen und Museen in den USA gehören und der sechste in einer Remise der heutigen Marke Bugatti parkt, ist ein baldiger Verkauf jedoch nicht absehbar. Sollte es dennoch dazu kommen, wäre ein neunstelliger Betrag durchaus vorstellbar.

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Auch die anderen Preziosen in diesem Raum sind jeder für sich geeignet, um bei Autoliebhabern Schnappatmung auszulösen. Dabei ist es egal, ob es einer der seltenen Bentley 8-Litre (Zweifarblackierung schwarz über grün) oder ein Mercedes-Benz 540 K mit weiß lackierter Sonderkarosserie von Erdmann & Rossi ist. Auch der bereits erwähnte Bugatti Typ 73 fand sich hier, fiel in seinem schwarzen Lack neben Markengeschwistern in auffälligerer Zweifarblackierung aber kaum auf. Der Gesamtwert allein dieses Nebenraums dürfte sich locker im Bereich über 300 Millionen Euro bewegen.

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Ein anderer Nebenraum des Musée National de l’Automobile ist aktuell dem Wirken und Leben von Louis de Funès gewidmet. Während uns Deutschen bei seinem Namen unweigerlich ein: „Nein“ „Doch“ „Ohhh“ durch den Kopf geht, ist der Schauspieler in Frankreich vermutlich ungefähr so gut bekannt wie bei uns Loriot oder Heinz Ehrhardt. Neben seinen diversen Rollen in Filmen und Serien arbeitete er auch als Komiker, Regisseur und Drehbuchautor. Die Sonderausstellung zeigt einige Fahrzeuge aus seinen bekanntesten Werken sowie Einzelexponate und Filmausschnitte auf Leinwänden.

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Weitere Nebendarsteller zur Hauptausstellung finden sich in einer Ecke der riesigen Halle. Hier kommt es auch zu einem der wenigen Kritikpunkte, die ich bei meinem Besuch notierte. Zum einen zeigt man ein Vorserienauto des Bugatti Veyron, dessen Sechzehnzylindertriebwerk über gute Lautsprecher ordentlich zur Geltung kommt. Nur wenige Meter daneben stehen allerdings drei Vertreter des Rallyesports, nämlich ein Renault 5 sowie ein Peugeot 205 T16 und ein Ford RS200. Hinter diesen Wagen zeigt eine weitere Leinwand eindrucksvolle Rallyeaufnahmen mit Originalsound, der mit dem W16-Motor in krasser Konkurrenz steht. Etwas mehr räumlicher Abstand würde beiden akustischen Genüssen eher gerecht.

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Nun könnte man glauben, dass damit der Rundgang beendet wäre. Doch es fehlt noch eine komplette Reihe der Halle. Diese ist genauso breit angelegt wie die anderen Reihen, jedoch durch eine Wand abgeteilt. Hier befinden sich die Motorsportfahrzeuge der Ausstellung. Auch dieser Überblick startet in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, beinhaltet anschließend reichlich Bugatti-Modelle und endet mit Rennwagen der modernen Formel 1.

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Formel-Rennwagen entwickelten sich aus den einsitzigen Grand-Prix-Fahrzeugen der Vorkriegstage. Damals fuhr Bugatti von Sieg zu Sieg. Mit dem Typ 251 konnte die Marke aus dem Elsass nach dem Krieg nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen. Beide Boliden diesen Typs gehören dem Museum, aber das habt Ihr vermutlich schon gewusst. Ebenso zählen zwei Mercedes-Benz W 154 und diverse Talbot, Gordini und Alfa Romeo zur Sammlung.

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Im hinteren Bereich dieser Motorsport-Reihe stehen Langstreckensportwagen. Die Reihe der blau lackierten Fahrzeuge aus Frankreich ist unübersehbar. Dazwischen stehen auch Raritäten wie ein Ferrari 250 LM oder ein Mercedes-Benz 300 SLR. Von den neun gebauten SLR existieren heute noch acht und auf meiner persönlichen Bucket-List konnte ich nun alle acht abhaken. Den Abschluss bilden ein Porsche 908 LH, ein Alpine Renault A442 und ein Audi R8R.

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Beim Weg in Richtung Ausgang kommt man unweigerlich an einem Hongqi aus China vorbei. Der Name bedeutet übersetzt „rote Fahne“. In den 1960er Jahren diente dieses Fahrzeug als Repräsentationslimousine für die chinesische Regierung. Direkt daneben zeigt das Museum die hauseigenen Bemühungen, die man unternommen hat, um die Karosserie des Bugatti Typ 41 Royale Esders Roadster zu rekonstruieren. Weitere Schritte der Restaurierungsarbeiten sind anhand eines auseinandergebauten Typ 57 Atalante dargestellt.

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Eine Ovalstrecke neben dem Museum bietet den Besuchern die Möglichkeit, einige Oldtimer aus dem Museum zu fahren. Hinzu kommen einige moderne Sportwagen bis hinauf zum Bugatti Veyron Grand Sport Vitesse. Aber auch ohne Probefahrt lohnt sich eine Reise nach Mulhouse. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen.

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Bilder: Katrin Kierse und Matthias Kierse