Wohl einer meiner allerersten Fahrberichte stammt aus dem Juli 2010. Damals gab es in Dülmen bei Münster noch die kleine, aber feine Manufaktur für Individualisten namens Wiesmann. Im Laufe der Jahre entwickelten sich sehr gute Kontakte zu diversen leitenden Mitarbeitern, die schließlich dazu führten, dass ich den einen oder anderen Sportwagen der Marke ausführen durfte. Diesmal war es das absolute Topmodell, der MF5 als limitierter Roadster mit dem V10-Triebwerk aus dem damaligen BMW M5 und M6. Dieser Fahrbericht entstand einst für Carpassion.com, den Link zum ursprünglichen Artikel füge ich am Ende ein. Hier habe ich jedoch meine damaligen Emotionen neu zusammengefasst und einen neuen Text erstellt, der die damaligen Erlebnisse dennoch unverfälscht wiedergibt.

Vom Wiesmann MF5 Roadster sollten ursprünglich 55 Exemplare entstehen. Der Grund hierfür war einfach: der traumhafte V10-Saugmotor lief bei BMW nicht nur aus der Produktion aus, sondern würde rund ein Jahr später aufgrund seiner Euro-4-Abgaseinstufung keine Neuwagenzulassung in der EU mehr erhalten. Im offenen Zweisitzer aus Dülmen durfte er ein letztes Mal brillieren. Die liebevolle Handfertigung des Autos dauerte schließlich so lang, dass innerhalb der gegebenen Frist nur 44 Fahrzeuge hergestellt wurden. Ein 45. folgte offenbar auf besonderen Kundenwunsch später nochmal. Für sonstige Interessenten stellte Wiesmann wie beim geschlossenen MF5 auf den V8-Biturbomotor von BMW um. Hier im Bericht geht es jedoch zweifelsfrei um den 507 PS starken V10 mit sequenziellen Siebengang-Getriebe.
Eines kann ich vorwegnehmen: der Roadster hat einen Soundtrack zum Niederknien. Böses Brabbeln im Leerlauf steigert sich zu Geschrei unter Volllast, bei dem man beinahe Angst hat, dass Vogelbabies aus den Nestern fallen und sich die Kacheln von Tunnelwänden lösen. Zu der Fahrt im MF5 Roadster kam ich übrigens relativ unverhofft. Eigentlich wollte ich nur einem guten Freund die Manufaktur in Dülmen zeigen. Kurz darauf hielten wir den Schlüssel in der Hand und ließen den Gecko von der Leine. Okay, richtige Fans bezeichnen diese Autos als ‚Wiesel‘, wohl wegen der genialen Straßenlage und der Tendenz um die Kurven zu wieseln.
Erst einmal sollten wir den Testwagen optisch vorstellen. Die dicken Kotflügelbacken mit integrierten Entlüftungsöffnungen vorn und hinten trugen bei diesem Auto wie die restliche Karosserie den Farbton ‚Bianco Avus‘, ein reines Weiß aus dem Lackprogramm von Ferrari. Im Kontrast dazu zeigten Felgen und Kühlergrill sowie Stoffverdeck und Interieur sich in knalligem Rot. Warum so auffällig? Weil Wiesmann dafür bekannt war, jeden Farbwunsch der Interessenten umsetzen zu können. Während unserer Fotoaufnahmen auf dem Gelände der Manufaktur in Dülmen kam kurz ein zweiter MF5 Roadster dazu, der in rot mit schwarzen Details schon deutlich weniger extrovertiert auftrat.
Wer noch nie einen Wiesmann bewegen konnte, muss eines wissen: Die Lenkung ähnelt keinem anderen Auto, sondern durch ihre extreme Direktheit am ehesten einem Go-Kart. Bereits kleinste Veränderungen der Lenkradstellung haben zur Folge, dass sich die Breitreifen in den Asphalt krallen und die gewünschte Richtungsänderung durchführen. Kombiniert man dieses Fahrverhalten mit 507 PS und dem bereits beschriebenen Sound, kommen dabei Glücksmomente der höchsten Art heraus, sobald man auf eine kurvige Landstraße abbiegt. Hier ist der Wiesmann zu Hause. Auch wenn die größte Ausführung, der MF5, durch seine breitere Karosserie und die hohe Leistung eine gute Dosis mehr Sorgfalt benötigt als der Basis-MF3.
Im – beim Testwagen sehr roten – Innenraum fühlt man sich auf Anhieb wohl und geborgen. Verantwortlich dafür sind die beiden Sportsitze, deren Seitenhalt sofort klarmacht, dass der Roadster keinesfalls scherzen möchte, sondern gern zügig um die Kurven fliegt. Sieben mittig angeordnete Rundinstrumente sind schräg in Richtung Fahrer ausgerichtet, während hinter dem Lenkrad nur ein kleines Display für die wichtigsten Fahrzeuginformationen angebracht ist. Am Mitteltunnel sorgen Kartentaschen dafür, dass mitgebrachte Kleinigkeiten nicht in der Gegend herumkullern. Mehr Platz bietet natürlich der Kofferraum unter der Heckklappe.
Im Rahmen unserer Möglichkeiten stand es natürlich nicht, die auf dem Datenblatt versprochenen Fahrleistungen zu überprüfen. Dafür fehlte neben einem abgesperrten Testgelände vor allem die Messtechnik. Es fällt jedoch nicht schwer, sich vorzustellen, dass der MF5 Roadster unter Idealbedigungen in 3,9 Sekunden aus dem Stand die 100 km/h erreicht. Allerdings nur mit zuvor aktivierter ‚Sport‘-Taste auf dem Mitteltunnel. Ohne liegen nämlich wie im M5 und M6 lediglich 400 PS an. Auch die Höchstgeschwindigkeit von 310 km/h haben wir an jenem sonnigen Tag nicht ausgefahren. Stattdessen konnten wir fast nicht aufhören, die kurvigen Landstraßen nahe der Manufaktur nochmal und nochmal abzufahren. Bei einem Drehzahllimit von 7.750 U/min sang dabei der Zehnzylinder seine Melodie, dass es eine Wonne war. Dank einprogrammierter Zwischengasstöße beim Herunterschalten wird jede Fahrt zum Spontanurlaub. Man steigt mit breitem Grinsen und innerlich tiefenentspannt aus.
Wie so oft während meiner Karriere fiel es mir am Ende des Tages wirklich schwer, mich von diesem Auto zu trennen und den Schlüssel wieder abzugeben. Spätestens seit der Insolvenz der Marke Wiesmann sieht man diese Sportwagen extrem selten im fließenden Verkehr – und da reden wir von allen drei Baureihen, also MF3, MF4 und MF5. Besitzer eines MF5 Roadster mit V10 wissen, was sie da in der Garage stehen haben und trennen sich eher selten von ihren Kunstwerken. Entsprechend hoch liegen heute die Preise, wenn ein solches Auto einmal zum Verkauf steht. Ich muss wohl doch Lotto spielen…
Fotografen: Michael Müller, Matthias Kierse
Text ursprünglich erschienen auf Carpassion.com: LINK