Als in den frühen 1980er Jahren das Reglement der Gruppe B für Rallye und Rundstreckenrennen bei der FIA verabschiedet wurde, ahnte niemand, dass damit quasi die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Durch eine Reduzierung der benötigten straßentauglichen Homologationsfahrzeuge auf 200 Exemplare machte man diese Kategorie für viele Hersteller attraktiv. Neue Evolutionsmodelle mussten sogar nur in einer Auflage von 20 Stück gebaut werden. Gleichzeitig ließ das Reglement große Freiheiten zu und erlaubte es damit, reine Rennmaschinen zu entwickeln, die mit den gewöhnlichen Straßenfahrzeugen nur sehr wenig zu tun hatten. Allerdings bedachten die Regelmacher nicht, dass die Hersteller trotzdem tief in die Trickkisten greifen würden. So gab es beispielsweise Überrollkäfige aus dünnen Aluminiumrohren oder Teams, die während einer Rallye-Etappe Reifenwechsel durchführten. Insgesamt führte dieser Weg mit immer schnelleren Autos in den Abgrund, der nach diversen schweren Unfällen mit Todesfolge 1986 erreicht wurde. Dennoch haben Gruppe-B-Autos bis heute eine treue Fangemeinde und erreichen inzwischen bei Auktionen Höchstpreise.
Max Girardo, einst Auktionator bei RM Sotheby’s und seit einigen Jahren selbstständiger Autoverkäufer, handelt häufig mit Autos dieser legendären Ära. Normalerweise handelt es sich dabei um die Straßen- oder Rallye-Versionen im bestmöglichen Originalzustand oder frisch restauriert. Über den Zeitraum der letzten 18 Monate entstand jedoch im Auftrag eines Kunden aus Nordamerika ein ganz besonderer Lancia Delta S4. Basierend auf dem Stradale erhielt dieses Fahrzeug alle Zutaten der Rallye-Version. Von außen präsentiert es sich in klassischem Schwarz, wodurch man an den S4-Prototyp namens „Mazinga“ erinnern möchte. Mit dem Delta S4 beerbte Lancia 1985 den sehr erfolgreichen 037 Rally. Erstmalig kam eine doppelte Aufladung mittels Kompressor und Turbolader zum Einsatz. Auf diese Weise stand in allen Drehzahlbereichen reichlich Leistung zur Verfügung. Hinzu kamen ein Allradsystem mit drei Sperrdifferenzialen und ein am Computer errechneter Spaceframe als Grundlage für das gesamte Fahrzeug. Dieses erinnerte später lediglich durch die Silhouette ein wenig an den parallel angebotenen Lancia Delta. Allerdings gab es diesen nur als Fünftürer, während der S4 neben den zwei Türen für Fahrer und Beifahrer zwei große abklappbare Bereiche an Front und Heck erhielt. Mechaniker würden von hoher Wartungsfreundlichkeit sprechen.
Als Delta S4 Stradale brachte das Auto ab 1985 zwar technisch gesehen alle Zutaten mit zu den Privatkunden, war jedoch in der Leistung reichlich gedrosselt. Vermutlich wollten die Italiener nicht den vollen Dampfhammer auf unbedarfte Autofahrer loslassen. Immerhin standen im Rallyetrim bis zu 600 PS Gewehr bei Fuß. Im Stradale blieben davon laut offiziellem Datenblatt zivile 184 kW/250 PS übrig. Immer noch reichlich, wenn man sich das automobile Umfeld des Jahres 1985 vor Augen führt. Dennoch gab und gibt es genug Kunden, die bei ihren Fahrzeugen nach dem Kauf an der Leistungsschraube gedreht haben. Für den amerikanischen Besteller des Delta S4 Corsa getauften Fahrzeugs übernahm das Team von Girardo & Co. die Leistungssteigerung. Hierfür hat das eigentlich in Großbritannien ansässige Unternehmen eine eigene Werkstatt in Turin, Italien, in der unter anderem die Zwillingsbrüder Elio und Giovanni Baldi arbeiten. Beide waren bei Lancia am Aufbau des Delta S4 beteiligt. Neben der vollen Gruppe-B-Spezifikation erhielt das Auto im Kundenauftrag einige Modifikationen, um es besser im Alltag einsetzen zu können. Beispielsweise erhielt der Motorraum zusätzliche Hitzedämmung, um die Langlebigkeit zu erhöhen und die Brandgefahr zu verringern. Ende Juli 2022 waren alle Arbeiten und die Einstellungsfahrten abgeschlossen. Das Auto machte sich auf den Weg zum neuen glücklichen Besitzer.