Wer sich in der heutigen Automobilwelt umschaut, kann es vermutlich kaum glauben, dass es vor noch gar nicht so langer Zeit durchaus üblich war, luxuriöse Autos durch den Einbau noch größerer Verbrennungsmotoren zu veredeln. Teils gab es diese Angebote sogar direkt vom Hersteller. Deutlich häufiger waren hingegen externe Tuner an entsprechenden Umbauten beteiligt. Besonders die großen Limousinen der E- und S-Klasse von Mercedes-Benz boten sich hierfür an. Neben Brabus und MKB hatte auch AMG Umbaumaßnahmen im Programm. Moment mal, AMG? Ja, denn Anfang der 1990er Jahre war diese Firma noch eigenständig und keine Tochterfirma des Daimler-Konzerns. Basierend auf der Baureihe W 140 entstand beispielsweise der S 72 AMG – mit einem Triebwerk, das sich in ähnlicher Form Jahre später im Supersportwagen Pagani Zonda C12 S wiederfand.
Spannenderweise entspricht diese AMG-Kreation von außen so gar nicht den Erwartungen, wenn man heutige Fahrzeuge der Sportmarke von Mercedes im geistigen Auge daneben stellt. Am klaren, kantigen Design der S-Klasse erfolgten nur per Nadelstichen kleine Modifikationen. So finden sich in den Radhäusern mehrteilige AMG Aero II-Felgen im Fünfspeichendesign, unter der Heckschürze schauen auf der linken Seite zwei Auspuffendrohre hervor und insgesamt sind alle Zierleisten rundum in Wagenfarbe „blauschwarzmetallic“ lackiert worden. Spoileranbauten, Sportschürzen oder gar einen Heckflügel sucht man vergeblich. Genau aus diesem Grund schätzen viele Autofans AMGs aus dieser Ära. Man sieht ihnen die pure Kraft nicht auf den allerersten Blick an. Hier könnte theoretisch auch ein ganz normaler S 280 oder S 320 mit etwas gehobener Ausstattung parken.
Sehr gehobene Ausstattung für die frühen 1990er Jahre war indes der V12-Saugmotor unter der langen vorderen Haube. Nach BMW, wo ab 1987 der erste Nachkriegs-Zwölfzylinder aus deutscher Produktion im 750i (E32) erhältlich war, zog Mercedes-Benz 1991 mit dem 600 SE und 600 SEL nach. Ab Ende 1994 wechselte die Bezeichnung analog zu allen anderen Baureihen: Der Einzelbuchstabe der jeweiligen Klasse wanderte vor die Zahl und machte das offizielle Topmodell zum S 600. Einigen Kunden reichte die Leistungsausbeute von 408 PS auf sechs Litern Hubraum indes nicht aus. Sie wandten sich unter anderem an AMG. Dort gab es das Angebot, den Hubraum mittels Aufbohrung, neuer Kolben und Kurbelwelle auf 7,2 Liter anzuheben. Damit stieg zudem die Leistung auf 525 PS. Passend erhielt die Limousine einen Tacho mit Zifferblatt bis 300 km/h.
Innen konnte die Leistung von bis zu vier Passagieren auf fein belederten Sitzen genossen werden. Das hier gezeigte Auto erhielt zudem auf Kundenwunsch Xenon-Scheinwerfer, eine mehrfarbige Lederausstattung und elektrische Vorhänge an den hinteren Seitenscheiben. Der deutsche Erstbesitzer und der heutige Inhaber in den USA sorgten seit 1994 für eine Gesamtlaufleistung von 115.000 km. Nun kommt das Auto bei Broad Arrow Auctions im Rahmen des Concours d’Elegance in Amelia Island am 7. März unter den Hammer. Erwartet wird dabei ein Zuschlagpreis zwischen 175.000 und 225.000 US-Dollar. Warum diese S-Klasse so wertvoll ist? Weil es von den frühen AMG-Umbauten nie besonders viele Exemplare gegeben hat. Die 72er-V12-Triebwerke wanderten zudem zum Großteil in die Sammlung des Sultan von Brunei und sind somit bis heute für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Bilder: Broad Arrow Auctions