Bentley T1 Trial Car

Bereits seit 1958 arbeitete Bentley an einem neuen Modell, um die Luxussparte zu modernisieren. Das entsprechende Design stellte Chefdesigner John Blatchley 1962 fertig. Er hatte zuvor unter anderem den R-Type Continental gestaltet. Viele Leser werden wissen, dass die Marke zu diesem Zeitpunkt bereits seit rund 30 Jahren zu Rolls-Royce gehörte und die neue Luxuslimousine daher natürlich im engen Verbund mit einem baugleichen Modell mit der „Spirit of Ecstasy“ auf dem Kühlergrill entstand. Die neuen Baureihen sollten den Autobau der beiden Traditionsmarken revolutionieren und auf neue, moderne Beine stellen. Verglichen mit dem direkten Wettbewerb hatte die alte S-Series und der nahezu baugleich Silver Cloud mit ihrem konservativen, geschwungenen Design immer mehr an Boden verloren. Mit der Bentley T-Serie und dem Rolls-Royce Silver Shadow brach indes eine neue Ära mit selbsttragender Karosserie und modernem Styling an. Dieser Werksaufbau war im Vergleich zum direkten Vorgänger in allen Dimensionen geschrumpft, bot jedoch im Interieur dennoch mehr Platz. Unter dem Blech kam es zu weiteren Revolutionen wie Einzelradaufhängungen oder Scheibenbremsen rundum.

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Natürlich mussten diese ganzen Neuerungen erst einmal intensiv erprobt werden, bevor die Serienfertigung anlaufen konnte. Hierfür gab es eine Flotte von „Trial Cars“. Heute würde man vermutlich eher von Prototypen oder Vorserienexemplaren sprechen. Chassisnummer SBH1001 entstand Mitte 1965 und diente neben dem Fahrversuch auch der Presseabteilung für Werbefotos in Veröffentlichungen, die auf die Weltpremiere der T-Serie auf dem Pariser Autosalon im Oktober 1965 folgten. Tatsächlich ist dieses Auto der erste Bentley T1, der vom Band gelaufen ist – noch vor dem ersten Rolls-Royce Silver Shadow. Unter der Motorhauber werkelte ein neu entwickeltes V8-Triebwerk mit 6,23 Litern Hubraum mit rund 230 PS. Auf Anfrage antworteten sowohl Bentley- als auch Rolls-Royce-Verkäufer damals, dass der Wagen „ausreichend“ Leistung habe. Dies unterstützte der T1 durch eine Spurtzeit aus dem Stand auf Tempo 100 in 10,9 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h. Was aus heutiger Sicht gering und vielleicht sogar langsam wirkt reichte in den 1960er Jahren aus, um für Erstaunen zu sorgen.

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Insgesamt fertigte Bentley vom T1 1.868 Exemplare in allen Varianten an. Knapp über 1.700 Stück entfielen auf die klassische, viertürige Limousine. Daneben gab es ab Werk zeitweise Coupé- und Cabriolet-Varianten sowie exakt neunmal die Limousine mit langem Radstand. Externe Karosseriebauer wie James Young und Pininfarina erstellten trotz der selbsttragenden Bauweise, die Umbauten schwieriger macht, eigenständige Coupé-Versionen. 1977 übernahm dann der weiterentwickelte T2 die Marktposition des T1 und lief bis 1980 immerhin 568-mal vom Band. Zu diesem Zeitpunkt stand SBH1001 nach diversen Test- und Fotofahrten wohl längst in einer Scheune. Bentley hatte den Versuchswagen ausgemustert und verkauft. Wie genau es für die Limousine anschließend weiterging, lässt sich nicht mehr nachverfolgen. Vor wenigen Jahren tauchte es unter einer Abdeckung in einer Scheune wieder auf und wurde aufgrund der historischen Bedeutung von Bentley gekauft. Allerdings fehlten diverse Komponenten inklusive des kompletten Interieurs.

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Gemeinsam mit einigen Auszubildenden wurde die Limousine im Bentley-Werk in Crewe von Hand zerlegt und dabei alle abgebauten Teile katalogisiert und der Zustand des Wagens festgestellt. Anschließend übergab man die Restaurierungsarbeiten an den Fachbetrieb P&A Wood. Besonders der Antriebsstrang erwies sich dabei als relativ vollständig und vor allem in gutem Zustand. Nach rund 15 Jahren Stillstand konnte der V8 erstmals wieder gestartet werden. Zusammen mit dem Automatikgetriebe brauchte der Motor nur eine kleine Inspektion. Auch die Hinterachse benötigte lediglich neue Dichtungsgummis. Schwieriger stellte sich die Suche nach einem passenden Armaturenbrett, der Innenausstattung sowie einem vollständigen Kabelbaum dar. Zudem mussten an der Karosserie diverse Roststellen und schlecht reparierte Unfallschäden instandgesetzt werden. P&A Wood konnte schließlich ein Spenderfahrzeug erwerben, das technisch nicht mehr zu retten war. Es entstammte ebenfalls der frühen Produktionszeit des T1, wodurch die Komponenten kompatibel waren. Die neue Lackierung erfolgte von Hand und mit zahlreichen Zwischenschleifschritten. Als Abschluss erfolgte die Wiederzulassung auf das einstige Pressefahrzeugkennzeichen 1900 TU. Zusammen mit 45 anderen Fahrzeugen aus allen Jahrzehnten der Markengeschichte steht der T1 nun in der Bentley Heritage Garage in Crewe und wird für Fahrveranstaltungen genutzt.

Bilder: Bentley