Die Geschichte des Artega GT aus Delbrück bei Paderborn begann schnell und endete noch schneller. Nach lediglich 153 gebauten Exemplaren schloss sich das Buch und die Firma schlitterte durch die Insolvenz. Eigentlich schade, denn der von einem VW-Motor angetriebene Sportwagen hatte durchaus gute Gene, wie er in einem meiner Fahrberichte im September 2010 unter Beweis stellte. Den Link zum Originaltext auf Carpassion.com gibt es am Ende des Artikels.
Zum damaligen Zeitpunkt war der Artega GT noch relativ unbekannt, obwohl er schon auf diversen Automessen gezeigt worden war. Im Vergleich zu den ersten Fahrzeugen aus der sogenannten Intro Edition gab es sogar bereits einige Modifikationen, um Qualität und Funktionalität entscheidend zu verbessern. Der einstige Hausherr, der Automobilzulieferer Paragon aus Delbrück in Ostwestfalen, hatte bereits die Mehrheitsanteile an einen Investor aus Mexiko übergeben.
Das Design des Artega GT entstand bei Henrik Fisker, der zuvor so bekannte Fahrzeuge wie den BMW Z8 oder den Aston Martin DB9 in Form gebracht hatte. Für den ostwestfälischen Sportwagen gestaltete er zwei unterschiedliche Entwürfe, von denen schließlich die besten Details am Serienprodukt zusammengebracht wurden. 2008 zeigte man dieses erstmalig öffentlich, 2009 sollte es bereits mit der Produktion losgehen. Doch auch Artega musste schnell lernen, dass Kleinigkeiten an den Baukomponenten schnell zu Unzufriedenheit bei den Kunden führen konnten. Daher verzögerte sich die Auslieferung der Kundenautos immer wieder, was zu weiterer Unzufriedenheit führte. Blickt man aus der Sicht des Jahres 2025 darauf zurück, muss man unwillkürlich lächeln, denn letztendlich verzögerte sich der gesamte Prozess um lediglich eineinhalb Jahre, wohingegen Großserienfirmen wie Mercedes-Benz beim AMG One ganz andere Probleme überwinden mussten.
Der mir zur Verfügung gestellte Testwagen entsprang also bereits der überarbeiteten Serienfertigung mit hunderten kleinerer und größerer Detailverbesserungen rundum. Dabei herausgekommen ist ein echt guter Sportwagen, der mit dem Stand rund ein Jahr zuvor nicht mehr viel zu tun hatte. Dies kann ich so genau sagen, da ich das Glück hatte, einen GT der Intro Edition fahren zu dürfen und bei dieser Tour diverse kleinere Mängel aufgefallen waren. Doch nun bog der 300 PS starke Zweisitzer direkt auf die Spur „Herzensbrecher“ ab – und das nicht nur aufgrund seiner Lackierung in Feuerrot.
Einige dieser Modifikationen lassen sich klar benennen. So verbaute Artega beispielsweise eine neue Tacho-Einheit mit einzelnen Rundinstrumenten, während der Prototyp noch auf der gleichen Nadel sitzende, aber gegenläufig arbeitende Zeiger für Drehzahlmesser und Tacho vorgesehen hatte. Stattdessen gibt es nun einen illuminierten Drehzahlzeiger, der sich je nach Drehzahlbereich und Betriebstemperatur anders einfärbt. Von blau geht es über grün bis rot. Ein weiteres neues Bauteil fällt nur auf, wenn es optional ohne deckende Farbschicht bestellt wird: die vordere Haube. Sie bestand ursprünglich aus Polyurethan-Kunststoff, der sich jedoch bei hohen Geschwindigkeiten verformte. Um jegliche Art von Beschädigungen auszuschließen entwickelte Artega das gesamte Bauteil neu aus Carbon – und bot es dadurch auch gleich auf Wunsch in Sichtcarbonoptik an, was jedoch nur von sehr wenigen Kunden bestellt wurde.
Ansonsten blieb man dem Fisker-Design treu, das bis heute bei Passanten und Betrachtern überwiegend positiv ankommt. Auch während meiner Testfahrten und der Fotoproduktion waren die Reaktionen von jung bis alt ganz klar zu deuten: Daumen hoch! Natürlich dachten nicht Wenige, dass es sich hier um einen nagelneuen Ferrari handele – rot ist eben klar mit den italienischen Sportwagen verknüpft. Umso größer dann die Verblüffung, dass es sich um ein Manufakturfahrzeug aus Ostwestfalen handelte.
Immerhin teilt sich der Artega GT die Positionierung des Antriebsstranges mit vielen südeuropäischen Mitbewerbern. Das von Volkswagen zugekaufte Sechszylinder-Triebwerk mit 300 PS aus 3,6 Litern Hubraum werkelt knapp vor der Hinterachse und bezieht seine Frischluft durch die Lufteinlässe hinter den Türen. Ein VW-Motor in einem Sportwagen? Sowas gab es mal in den 1960er Jahren in Brasilien, aber doch nicht 2010? Doch, sehr wohl. Der Motor entstammte dem ebenfalls recht seltenen Passat R36, von dem der Artega auch das Doppelkupplungsgetriebe mit sechs Gängen erbte. Auf einen Allradantrieb verzichtete man in Delbrück jedoch. Dank des maximalen Drehmoments in Höhe von 350 Newtonmetern beschleunigt der GT in 4,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und nimmt damit dem Technikspender eine volle Sekunde ab. Dieser ist zudem als Limousine und Variant auf 250 km/h Höchstgeschwindigkeit gedrosselt, während der Artega munter bis auf 270 km/h weiter beschleunigten durfte.
Bei den Überführungsfahrten zwischen dem Werk in Delbrück, meiner Wohnung und den Orten für die Fotoaufnahmen ließ sich der Durchschnittsverbrauch beim „im Verkehr mitrollen“ relativ mühelos auf rund 8,9 Liter pro 100 Kilometer absenken. Allerdings macht der GT natürlich viel mehr Spaß, wenn er auf kurvigen Bergpässen, Landstraßen oder gar auf der Rennstrecke von der Leine gelassen wird. Dort zahlen sich auch die wie ein Handschuh sitzenden Recaro-Sportschalensitze aus, die jederzeit genügend Seitenhalt bieten.
Der Sechszylindermotor weiß durchaus, wie man ordentlichen Sound nach außen gibt. Dabei ist er jedoch keinesfalls aufdringlich oder gar nervig in Sachen Geräusch und Lautstärke unterwegs. Dank der manuellen Schaltfunktion des Direktschaltgetriebes unterstellt man dem Artega subjektiv sehr schnell mehr als die im Datenblatt stehenden 300 PS. Auch die zuschaltbare Launch Control für besonders schnelle Spurts an der Ampel unterstützte diesen Eindruck. Sie ist allerdings ein wenig versteckt im Menü des Infotainmentsystems.
Obwohl es zahlreiche Verbesserungen gab, konnte der Artega GT mich persönlich besonders durch eine Eigenart überzeugen, die es besonders oft bei Autos aus kleinen Manufakturen gibt: seinen „Schrulligkeiten“. Perfektion mag schön sein, ist aber auf Dauer langweilig. Beim GT gibt es sie noch, die Kleinigkeiten, an die man sich erst gewöhnen muss, die dann aber nicht wegzudenken sind. So verbaute Artega an der Mittelkonsole beispielsweise spezielle Sensortasten für alle Funktionen des Infotainmentsystems inklusive Navi und Belüftung. Der dafür vorgesehene Bildschirm steht in einem Winkel, der im ersten Moment seltsam anmutet, letztlich jedoch dafür sorgt, dass es kaum Reflexionen auf dem hochglänzenden Bild gibt. Die Anzeigen des Navigationssystems finden sich integriert in den Innenspiegel. Für die mir angewöhnte „Viertel-vor-Drei-Handstellung“ am Lenkrad hat der Artega GT merkwürdige Ausformungen am Lenkradkranz. Folgt man mit den Händen jedoch diesen Formen, merkt man schnell, dass man mit den Fingern ideal an die Schaltwippen auf der Rückseite herankommt.
Der damalige Neupreis für einen GT lag bei 79.950 € zuzüglich Extras. Inbegriffen war die Auswahl aus sechs Standardfarben für die Karosserie und einige Lederfarben innen. Auf Wunsch gab es für den Wagen jedoch jede Farbe außen und innen, die sich die Kunden vorstellen konnten. Vier Airbags, Bi-Xenon-Scheinwerfer, Navi, Klimaanlage und eine 250-Watt-Musikanlage gehörten indes serienmäßig dazu – ebenso wie die Brembo-Bremsanlage hinter den 19 Zoll großen Leichtmetallrädern.
Bei einer abschließenden Tasse Kaffee am Straßenrand zogen wir nach der Fotoproduktion unser Resümee. Hier wuchs zusammen, was vom Konzept her zusammengehörte. Die Modifikationen haben dem Auto sehr gut getan und dafür gesorgt, dass nichts mehr knirscht, klappert oder knarzt. Mein eigener Artega GT wäre sicherlich nicht rot lackiert worden und hätte vielleicht auch einige andere Ausstattungsdetails nicht mit dem Testwagen geteilt. Aber hätte ich mir in diesem Moment beim Kaffee einen GT bestellen dürfen, so hätte ich das sicher getan. Aus heutiger Sicht umso mehr, denn bei nur 153 gebauten Exemplaren wäre es wohl eine kleine Wertanlage, die zudem unheimlichen Fahrspaß vermittelte.
Fotograf: Matthias Kierse
Ursprünglicher Text erschienen in Carpassion.com: LINK