Ende 2012 befand sich die Sportwagen-Manufaktur Wiesmann tief in einer (zum großen Teil selbst geschaffenen) Krise. Der Einstiegssportwagen MF3 entfiel aus dem Modellprogramm, das Gecko-Fabrikgebäude hatte mehr Kosten verursacht, als vorher veranschlagt und die zwischenzeitlich eingestiegenen Geldgeber übten soviel Druck auf die Gebrüder Wiesmann aus, dass diese schließlich ihre eigene Firma verließen. Unter der neuen Führung kam es für mich zu einem finalen Fahrbericht im MF5 GT, bevor im folgenden Frühjahr die Insolvenzerklärung eingereicht wurde. Leider hat sich seitdem nur wenig bei Wiesmann getan, obwohl mit dem Project Thunderball eigentlich bereits ein neues Modell entwickelt wurde. Doch davon war 2012 während meiner Fahrt noch nicht viel zu sehen. Den Link zur ursprünglichen Veröffentlichung gibt es am Ende des Artikels. Hier finden sich meine damaligen Emotionen neu aufgemischt und niedergeschrieben.
Im Herbst kann es gerne mal zu Stimmungstiefs kommen. Draußen ist es hauptsächlich grau, gern gemischt mit Regen und Wind. Gibt es etwas Positives am Herbst? Allenfalls die wenigen sonnigen Tage, wenn man das bunte Laub der Wälder genießen kann. Oder aber eine Einladung, um 555 PS in einem seltenen deutschen Supersportwagen ausfahren zu dürfen. Dieses Glück hatte ich Ende 2012, als kurzfristig ein MF5 GT am Wiesmann-Werk in Dülmen bereitstand. Kaum erwähnenswert, dass man die Einladung nicht zweimal aussprechen musste.
Während also andere Menschen ihren Herbstdepressionen nachjagten oder alternativ Pläne für den kommenden Frühling schmiedeten, fuhr ich ins Münsterland nach Dülmen. In der Spätphase von Wiesmann hatte ich im dortigen Werk quasi Narrenfreiheit und durfte mich fast überall aufhalten. Schade, dass es die Nachfolge-Inhaber bis heute nicht in den Griff bekommen haben, diese Manufaktur für Individualisten wieder in Gang zu bringen – doch davon konnte damals noch keine Rede sein. Stattdessen stand bei diesem Besuch ein schwarz lackiertes Geschoss vor mir. Erfahrungen mit dem MF5 hatte ich bereits, allerdings noch mit dem Urmodell, das vom V10-Saugmotor aus dem BMW M5 und M6 angetrieben wurde. Nachdem es dieses Aggregat nicht mehr gab, hatte Wiesmann auf das 4,4 Liter große V8-Biturbotriebwerk aus dem X5 M und X6 M gewechselt, jedoch darauf verzichtet zusätzlich auch einen Allradantrieb zu verbauen. Dennoch sprach das offizielle Datenblatt nicht nur von 555 PS, sondern auch von 3,9 Sekunden von null auf 100 sowie einer Endgeschwindigkeit von 311 km/h. Aufgrund der damaligen Wettersituation mit Nieselregen und kühlen Temperaturen rückten diese Werte jedoch in weite Ferne.
Vor dem Werk mit seinem riesigen Gecko auf dem Dach standen wie so oft diverse schöne Wiesmann-Modelle in Reih und Glied. Darunter befand sich auch ein MF3 Roadster der Final Edition, über die ich heute endlich schreiben kann, was ich damals aus Anstand nicht sagen durfte: sie war einfach sauhässlich. So schön die Zusammenarbeit mit einer renommierten Designfirma wie Sieger für Wiesmann gewesen sein mag, das Ergebnis konnte nicht überzeugen. Diese bunten Streifen hatte der MF3 nicht verdient, zumal nicht als letztes Geleit bevor die Baureihe eingestellt wurde. Doch zurück zum großen Bruder MF5. Angesichts der Witterungsbedingungen war ich durchaus beruhigt, als man mich auf die Winterbereifung hinwies. Das Auto selbst kam mit dem optional angebotenen Performance Paket inklusive größerem Frontspoiler und höher montiertem Heckflügel. Am Interieur in Voll-Lederausstattung und mit Sportschalensitzen tat sich durch dieses Paket nichts. Hier konnten Interessenten sich damals farblich ebenso austoben wie bei den Lackfarben der Karosserie. Das Vorführfahrzeug war in Schwarz mit goldenen Akzenten eher zurückhaltend-stilvoll konfiguriert.
Wie bei allen Wiesmann-Modellen startete der Motor nach Dreh des Zündschlüssels erst auf Knopfdruck. Für Fans des ursprünglichen MF5 als GT und Roadster fehlte hier jedoch etwas. Anstelle des hochfrequenten Kreischens eines Zehnzylindermotors gab es in der zweiten Bauphase des Wiesmann-Topmodells „nur“ einen V8-Biturbomotor, der naturgemäß akustisch zurückhaltender auftritt. Die Auspuffexperten aus Dülmen hatten sich zwar alle Mühe gegeben, auch dem Achtender eine würdige Klangkulisse anzuerziehen, an den V10 kam diese aber bei weitem nicht heran. Dennoch ist diese Klage natürlich eine aus der Kategorie „auf sehr hohem Niveau meckern“. Immerhin sorgte das neuere Triebwerk – wie sein Vorgänger von BMW zugekauft – für ein Leistungsplus von 48 PS und genügend Vortrieb, um jegliche Art von Herbstdepressionen in Gänsehaut und breites Grinsen zu verwandeln. Das altbekannte und oft besungene Turboloch findet man bei diesem Auto nur, wenn man bewusst in einem viel zu hohen Gang Gas gibt – aber mal ehrlich: im sechsten Gang bei 80 km/h passiert auch bei einem Saugmotor nicht viel. Ebenfalls ungewohnt war es, dass die zweite Serie des MF5 laut Datenblatt mit einer Sechsgang-Automatik ausgeliefert wurde. Zuvor waren es noch sieben Vorwärtsgänge aus einem sequenziellen Schaltgetriebe. Allerdings durfte man der Sportautomatik aus dem Hause ZF nach nur wenigen Kilometern beste Schaltzeiten und hervorragende Reaktionswerte auf Schaltbefehle an den Wippen am Lenkrad attestieren.
Die volle Leistungsabgabe von 555 PS erfolgt beim MF5 GT durch den Druck der Sport-Taste auf der Mittelkonsole. Sofort spannt das Coupé gefühlt die Muskulatur noch mehr an als sonst und will nur noch eines: nach vorne und zwar schnell. Das dann mit der gültigen Straßenverkehrsordnung unter einen Hut zu bringen, ist schwierig. Doch auch ohne gedrückte Sport-Taste machen vor allem kurvige Landstraßen einen unverschämten Spaß. Wiesmann war bei allen Modellreihen für eine besonders direkte Lenkung bekannt, die man sehr gut mit der aus einem Go-Kart vergleichen kann. Die Rückmeldung an den Fahrer erfolgt direkt und ohne Fragezeichen aufzuwerfen, wodurch man schnell viel Vertrauen an das Fahrverhalten gewinnt. Die nötigen Informationen zu Geschwindigkeit, Drehzahl und Bordmitteltemperaturen erhält der Pilot derweil von insgesamt sieben Rundinstrumenten, die mit leichter Neigung Richtung Fahrersitz mittig im Armaturenbrett eingelassen sind. Direkt hinter dem Lenkrad gibt es nur ein kleines Digitaldisplay.
Wie bereits erwähnt sah sich Wiesmann stets als Manufaktur der Individualisten und so verwundert es kaum, dass nur wenige Exemplare des MF5 GT (oder auch der kleineren Baureihen MF3 und MF4) dem jeweils anderen all zu sehr ähneln. Jeder Besitzer konnte mit dem Team in Dülmen eine nahezu unendliche Palette von Lack- und Lederfarben durchgehen, diese mit Teppich- und Nahtfarben kombinieren und anschließend auch noch die Farbgebung der Rundinstrumente und Felgen bestimmen. Bicolor-Lederausstattung mit Ziernähten in drei verschiedenen Farben? Klar, gerne. Außenlackierung in Orange von Lamborghini, aber innen Leder von Mercedes-Benz? Selbstverständlich möglich. Es gab fast nichts, was nicht möglich war, sofern es sich mit der Zulassungsfähigkeit vereinbaren ließ. Und das Ganze kombinierte Wiesmann mit einem ultrabequemen Cockpit für zwei Personen und einem Kofferraum, der dank doppeltem Boden mehr als genug Stauraum für den gemeinsamen Urlaub bot.
Man kann sich vorstellen, dass ich mich damals eher widerwillig vom Zündschlüssel getrennt habe. Fahrten in Fahrzeugen von Wiesmann sind immer wieder etwas Besonderes und das Topmodell macht hier keine Ausnahme. Rund 350 Arbeitsstunden dauerte es damals, bis ein solcher Sportwagen aus der Gecko-Halle in Dülmen rollte. Schade nur, dass die neuen Inhaber es bis heute nicht geschafft haben, die Produktion wieder aufzunehmen. Die automobile Welt ist dadurch um einige Highlights ärmer.
Fotograf: Matthias Kierse
Der ursprüngliche Text ist auf Carpassion.com erschienen: LINK