Den PS.Speicher im niedersächsischen Einbeck kennen vermutlich einige meiner Leser. Immerhin gibt es dieses tolle Museum mit seiner Zeitreise über rund 200 Jahre Mobilität bereits seit einem Jahrzehnt. Weniger bekannt sind hingegen die öffentlich zugänglichen Depots und die seit einem Jahr unregelmäßig geöffnete Schatzkammer in einem der Depotgebäude, die sich im Stadtgebiet von Einbeck verteilen. Diese Schatzkammer enthält ausnahmsweise nur wenige Fahrzeuge aus der umfangreichen Sammlung des PS.Speichers. Dafür stehen hier sehr wertvolle Sammlerautos, die zum Teil dem Begründer des Museums und zum Teil anderen Sammlern aus der Region gehören. Über die Museumswebseite kann man an verschiedenen Tagen einen geführten Rundgang durch die Schatzkammer buchen.
Bereits im Vorraum stehen einige Exponate, die sich auch im eigentlichen Museum gut machen würden. Sobald sich jedoch die alarmgesicherte Tür zur heiligen Halle öffnet, erleben manche Autofans spontane Schnappatmung. In insgesamt vier Reihen stehen hier Vorkriegsklassiker und moderne Supersportwagen in einem gefliesten Raum, der durch die zahlreichen Holzträger jedoch nicht verheimlichen kann, dass er sich in einem historischen Gebäude befindet. Eines sei bereits hier zu Anfang erwähnt: wer aufgrund meiner Bilder Lust auf einen Besuch der Schatzkammer bekommt und unbedingt die Sportwagen von Ferrari sehen will, sollte schnell handeln, da diese im Oktober aus diesem Bereich verschwinden.
Beginnen wir den Rundgang durch die Schatzkammer mal auf der rechten Hallenseite. Dort reihen sich Präziosen aus dem Hause Mercedes-Benz nebeneinander auf. Die ersten vier Fahrzeuge eint dabei zusätzlich das Modell: sie entstammen der seltenen Baureihe 540 K. Lediglich vier Exemplare entstanden Mitte der 1930er Jahre als verlängerter Paradewagen und der hier gezeigte hat, wie sich durch intensive Recherche herausstellte, offenbar nicht einmal die zu befürchtende „braune“ Vergangenheit, die man solchen Fahrzeugen gedanklich sofort anheftet. Direkt daneben parkte mit einem von nur zwei gebauten 540 K Coupés mit Sindelfingen-Karosserie – also einem zweitürigen Aufbau, der von Mercedes-Benz selbst gestaltet wurde – eine wahre Sensation. Das Auto wurde im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz versteckt, wanderte anschließend über den Atlantik in die USA aus und wurde dort vor einigen Jahren in bemitleidenswertem Zustand wiedergefunden. Allerdings waren alle wichtigen Originalteile noch vorhanden, sodass bei der folgenden Restaurierung soviel originale Substanz wie möglich erhalten werden konnte. Durch ein Cabriolet A und einen Spezial Roadster ließ sich anschließend sehr schön vergleichen, welchen Aufwand Mercedes-Benz einst auf Kundenwunsch betrieben hat. So erhielt der Roadster nicht einfach nur eine sportlicher gestaltete Karosserie, sondern sogar ein anderes Chassis, in dem der Achtzylindermotor mit Kompressor weiter hinten und weiter unten verbaut war als im normalen Cabriolet A. Die Bezeichnung „Cabriolet A“ galt bei Mercedes-Benz und weiteren Herstellern in der Vorkriegszeit übrigens als Name für ein zweitüriges und zweisitziges offenes Automobil. Darüber kam das Cabriolet B (zwei Türen, vier Sitze) und das Cabriolet D (vier Türen, vier Sitze). Neben dem 540 K Cabriolet A standen vergleichbare Aufbauten auch auf Basis des 500 K und des 380 in der Schatzkammer. Hinzu kam in dieser Reihe ein Benz & Cie. 16/50 PS Landaulet, das nur wenige Monate vor der Fusion von Benz und Daimler zur heute noch bekannten Marke Mercedes-Benz entstanden ist.
Für den Moment überspringen wir hier die Ferrari-Reihe und gehen zu einer anderen historisch relevanten Marke über, die auf der anderen Hallenseite parken darf. Bevor wir uns diesen Exponaten widmen, sollen aber drei weitere Autos aus der Markengeschichte von Daimler-Benz nicht unerwähnt bleiben. Zum einen steht hier ein Grand-Prix-Rennwagen von Daimler, der bereits auf den Modellnamen „Mercedes“ hörte und vom eigentlich als Mechaniker angestellten Christian Lautenschlager in den 1910er Jahren sehr erfolgreich bei Rennen bewegt wurde. Ein Mercedes 28/95 PS Sport Phaeton zeigt die Ära auf, in der Daimler bereits Fahrzeuge unter dem Markennamen Mercedes und mit dem dreizackigen Stern als Logo verkaufte. Hinzu kommt der Nachbau eines Mercedes-Benz SSK. Anschließend widmet sich die Schatzkammer den Produkten eines gewissen August Horch, der in und um Zwickau diverse Luxuskarossen produzierte. Aus seiner eigens gegründeten Firma musste er 1909 jedoch ausscheiden, da er sich gegen die an Bord geholten Geldgeber bei immer mehr Entscheidungen nicht mehr durchsetzen konnte. In Sichtweite zu seinem alten Werk gründete er ein neues, das er jedoch nach einem Rechtsstreit mit der bestehenden Marke nicht mehr „Horch“ nennen durfte. Der Geistesblitz des Sohnes eines Freunds sorgte für den neuen Namen „Audi“ – einfach der lateinische Imperativ des Wortes hören oder horchen.
Auch Horch und Audi erlebten schließlich eine Fusion. Diese umfasste 1932 allerdings zusätzlich die Marken DKW und Wanderer, wodurch die große Auto Union mit vier ineinander geschlungenen Ringen als Symbol entstand. Im Laufe der 1930er Jahre entstanden bei Horch einige aufsehenerregende Luxusfahrzeuge wie der 930 V Roadster, der 853 sowie der davon abgeleitete 855 Spezial Roadster. Wieviele Exemplare des letztgenannten Modells tatsächlich vom Band gelaufen sind, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Heute sind jedoch nur noch drei weltweit bekannt, davon eins hier in Einbeck. Während dieser zweisitzige Roadster vom Besitzer selbst gefahren wurde, rangierte am anderen Ende der damaligen Horch-Modellpalette der 850 und die davon abgeleitete 851 Pullman Limousine mit viel Platz im Fond und einer Trennscheibe in Richtung Cockpit, um den Chauffeur nicht an allen Gesprächsdetails teilhaben zu lassen.
Wie gesagt nur noch für kurze Zeit in der Schatzkammer zu Gast ist die Reihe der modernen Ferrari, die durch einen inzwischen zum Klassiker gereiften Supersportwagen der 1980er Jahre angeführt wurde. Der F40 erschien zum 40-jährigen Firmenjubiläum von Ferrari und war zugleich das letzte Modell, bei dessen Entwicklung der Firmengründer Enzo Ferrari noch selbst Einfluss genommen hat. Ab Werk gab es das Auto ausschließlich in einer Konfiguration: außen rot (Rosso Corsa) mit Sitzen in rotem Stoff innen. Interessanterweise war dies der einzige rot lackierte Ferrari in dieser Sammlung. Offenbar gefällt dem Besitzer eine andere Lackierung deutlich besser. Von den sieben ausgestellten Fahrzeugen trugen immerhin vier die Farbe weiß. Neben dem F40 parkte mit einem F12tdf ein noch relativ moderner Supersportwagen, der als sportliche Sonderversion des F12 Berlinetta in limitierter Auflage angeboten wurde. Dies zieht sich als Motto bei den weißen Fahrzeugen weiter durch, denn auch den 488 Pista, den 430 Scuderia und den 812 Competizione A gab es jeweils als nochmal sportlichere und leistungsstärkere Variante des jeweiligen Basismodells. Mit dem Purosangue zeigt der Besitzer auch das allerneueste Modell aus Maranello, bei dem es streng verboten ist, von einem SUV zu sprechen – obwohl es schwer fällt. Der gelb lackierte 296 GTS am hinteren Ende der Halle vereint moderne Designdetails mit der Historie und zitiert dabei unter anderem den Dino 246 oder den Ferrari 250 LM. Mit seinem V6-Hybridantrieb passt er bestens in die aktuelle Zeit.
Bilder: Matthias Kierse