Die vergebene Chance – Volkswagen Phaeton D2

Vor 20 Jahren debütierte erstmalig ein Volkswagen in der Oberklasse. Die luxuriöse Limousine namens Phaeton entstand vor allem auf Wunsch des damaligen Konzernchefs Ferdinand Piëch. Inklusive zwei kleiner und eines großen Facelifts blieb der Wagen für 14 Jahre ein Bestandteil des Modellportfolios der Wolfsburger Marke. In dieser Zeit liefen 84.235 Exemplare vom Band der Gläsernen Manufaktur in Dresden, die VW eigens für den Phaeton errichtet hatte. Ein Nachfolgemodell gab es nicht. Oder vielleicht doch?

Volkswagen Phaeton D2 Prototyp – Quelle: Volkswagen AG

Tatsächlich liefen in der Entwicklungsabteilung bereits intensive Vorbereitungen für eine neue Luxuslimousine. Unter dem internen Kürzel „D2“ (der erste Phaeton hieß intern „D1“) waren die Arbeiten bereits bis zu ersten fahrbereiten Prototypen im finalen Design vorangeschritten. Allerdings führte der Dieselskandal in Verbindung mit der anschließenden Neuausrichtung des Konzerns in Richtung Elektromobilität zum Stopp des Phaeton D2. Was eine solche Ad-hoc-Entscheidung für beteiligte Designer, Techniker und Ingenieure bedeutet, kann man sich als Außenstehender wohl nur schwer vorstellen. Von jetzt auf gleich wandern alle zum Projekt gehörenden Daten, Zeichnungen, Modelle und Prototypen ins Archiv oder in den Schredder. Erstaunlicherweise überlebte eines der Konzeptfahrzeuge, mit denen das Design intern präsentiert wurde. Zum 20-jährigen Jubiläum des Phaeton veröffentlichte Volkswagen vor rund einem Monat erstmals Bilder dieses Autos.

Vergleich von Volkswagen Phaeton D1 und Phaeton D2 – Quelle: Volkswagen AG

Aus heutiger Sicht mag das Fahrzeug nicht mehr hundertprozentig frisch wirken. Man muss jedoch bedenken, dass Styling und Interieur bereits vor mehr als sechs Jahren abgenickt wurden. Verglichen mit Mitbewerbern aus diesem Zeitraum erscheint der Volkswagen Phaeton D2 durchaus attraktiv und modern. Auffallend ist der breite Chromgrill, der sogar eine Nummer größer als beim Vorgänger ausfällt. Für die ausgewogenen Proportionen der Karosserie zeichnete Jozef Kabaň, Leiter Volkswagen Design, mit seinem Team verantwortlich. Dazu zählten auch Marco Pavone, Leiter Exterieur Design, und Tomasz Bachorski, Leiter Interieur Design. Insgesamt vier verschiedene Konzepte entstanden 2013, um einen würdigen Nachfolger des Phaeton zu finden. Letztlich erhielt der sportlich-flache Entwurf von Pavone und Bachorski den Zuschlag und wurde als fahrfähiger Prototyp verwirklicht.

Tomasz Bachorski, Jozef Kaban und Marco Pavone (v.l.n.r.) am Phaeton D2 Prototyp – Quelle: Volkswagen AG

Als Grundbasis nutzt der Phaeton D2 den Modularen Längsbaukasten (MLB) aus dem VW-Konzernregal. Durch seine Skalierbarkeit dient er verschiedensten Fahrzeugen als Basis. Angefangen bei Mittelklassemodellen wie dem Audi A4 (B8) reicht die Palette dabei bis zum Porsche Macan oder Audi A8 (D4). Da der Phaeton D2 nicht final fertig entwickelt wurde, ist nicht auszuschließen, dass vor der Markteinführung noch ein Wechsel auf den neueren MLBevo, also die zweite Generation des Modularen Längsbaukasten erfolgt wäre, der 2015 erstmals debütierte. In seinen Abmessungen hätte der zweite Phaeton seinen Vorgänger vermutlich leicht übertrumpft. Leider gab Volkswagen hier keine genauen Daten an.

Volkswagen Phaeton D2 Prototyp – Quelle: Volkswagen AG

Innen ist der fahrbare Prototyp voll auf der Höhe seiner Entstehungszeit. Hinter dem Multifunktionslenkrad mit Holzkranz findet sich ein Curved Display. Es zeigt die wichtigsten Fahrzeuginformationen digital an und sollte sich vom Fahrer teilweise konfigurieren lassen. Zentral im Armaturenbrett befindet sich ein weiteres großes Touchscreen-Display. Darüber lassen sich alle Komfort- und Audio-Funktionen sowie das Navigationssystem bedienen. Auf dem Mitteltunnel sitzt hierfür ein zusätzlicher Bediensatellit. Helles Leder und dunkles Holz schaffen bereits in diesem frühen Vorserienauto ein luxuriöses Ambiente.

Interieur des Volkswagen Phaeton D2 Prototyp – Quelle: Volkswagen AG

Wie bei (fast) allen Oberklassefahrzeugen geht es natürlich auch beim Volkswagen Phaeton nicht nur um den Fahrerplatz. Spezielles Interesse besteht vor allem an den Sitzen im Fond. Hier halten sich üblicherweise Firmenchefs oder Spitzenpolitiker auf. Unter ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gehörten einige Volkswagen Phaeton sogar zum Fuhrpark der deutschen Bundesregierung. Im Fond des Phaeton D2 hätten sich Manager und Politiker wohl ebenso wohlgefühlt wie Kinder reicher Eltern. Der Prototyp zeigt eine Ausführung mit zwei Einzelsitzplätzen, fester Mittelkonsole dazwischen und Bildschirmen an der Rückseite der Vordersitze. Von der neuesten Serie über YouTube-Beiträge bis hin zu Bilanz-Powerpoints hätte man hier unterwegs alles ansehen können. Speziell im asiatischen Raum nutzen viele Kunden ihr Oberklasseauto auch als rollendes Büro.

Fond des Volkswagen Phaeton D2 Prototyp – Quelle: Volkswagen AG

Zu möglichen Motorisierungen gab es zum Zeitpunkt der Projekteinstellung noch keinerlei Entscheidungen. Mit einem Wechsel auf den MLBevo hätte man den Phaeton D2 möglicherweise sogar teilelektrifizieren können. Kraftvolle Benziner mit Turboaufladung und möglicherweise auch ein oder zwei Dieselmotoren wären jedoch mit Sicherheit erhältlich gewesen. Als optisch durchaus gefällige Alternative zu 7er BMW, S-Klasse und A8 rollte der Phaeton D2 jedoch stattdessen ohne Umwege ins verschlossene Fahrzeugdepot. Aus der Gläsernen Manufaktur wurde eine Fabrikation für Elektroautos und die Episode „VW in der Oberklasse“ endete so schnell, wie sie begonnen hatte.