Besuch in der D’Ieteren Gallery in Brüssel

Ein Automuseum in Brüssel? Klar, da muss die Autoworld gemeint sein. Auch richtig, aber in diesem Fall ging es für unser Team dorthin erst nach einem anderen Besuch. Etwas unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit gibt es in der belgischen Hauptstadt nämlich noch ein zweites sehenswertes Museum – und das bereits seit 19 Jahren. In der Vergangenheit stolperte ich immer wieder über den Namen und sah bereits einige Autos aus der Sammlung auf diversen Veranstaltungen. Doch den Aufwand, mich einmal nach einer Besichtigung zu erkundigen machte ich mir nie. Warum eigentlich? Das ist die Frage, die mich nach dem Besuch umtreibt. Denn die Familie D’Ieteren und das, was sie in Belgien erschaffen hat, ist definitiv eine längere Anfahrt wert. Das Museum namens Gallery liegt oberhalb eines Showrooms für moderne Fahrzeuge und hinter dem Kundenbereich von Bugatti Brussels. Bereits im Eingangsbereich macht der Blick auf zwei Kutschen schnell klar, dass es hier nicht nur um einen Autohändler geht.

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Das genaue Datum der Unternehmensgründung lässt sich nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Allerdings steht das Jahr relativ sicher fest: 1805. Dies allein macht schon deutlich, über was für ein breites Spektrum hier zu berichten sein wird, denn die kleine Firma aus dem Brüsseler Umland existiert bis heute und ist zu einem Konzern herangewachsen. Nur mal als kleines Beispiel: Kennen Sie Carglass? Dann kennen Sie immerhin einen ganz kleinen Teil der Firmengruppe. Alles begann mit der Herstellung von Holzrädern für Kutschen und Laufräder. Dabei ist es nicht damit getan, ein paar Holzteile zusammenzufügen und das Ganze möglichst in runder Form. Bei guten Holzrädern kommen vier oder fünf unterschiedliche Holzsorten zum Einsatz, da jede unterschiedliche Eigenschaften mitbringt, die für die verschiedenen Bereiche von Nutzen sind. Bald entstanden auch erste Kutschaufbauten, wobei die erste Familiengeneration sich noch mit den Holzarbeiten begnügte. Wenn man dabei sieht, dass aus einem einzigen langen Stück Holz der gesamte Rahmen gebogen wurde, weiß man, dass hier Know-How nötig war. Die zweite Generation der Familie D’Ieteren baute schließlich komplette Kutschen inklusive Innenausbau, Lackierung und Extras. Als ab 1890 langsam das Automobil seinen Siegeszug aufnahm, schwenkte auch der Karosseriebau von D’Ieteren nach und nach in diese Richtung um. Kutschen konnten jedoch weiterhin parallel bestellt werden.

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Wenn man die wechselvolle Geschichte von Belgien bedenkt, besonders in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, ist es umso bewundernswerter, dass bei D’Ieteren ein nahezu vollständiges Archiv der gebauten Autos erhalten blieb. Und nicht nur das, selbst die große Plattenkamera, mit der in der Zeit zwischen den Weltkriegen von jedem (!) gebauten Fahrzeug vor der Auslieferung an die Kunden Fotos erstellt wurden, ist heute Teil des Privatmuseums. In dieser Ära war es für die Besteller eines neuen Autos völlig normal, vom Hersteller nur ein nacktes Chassis inklusive Motor und Getriebe zu kaufen und damit zum Karosseriebauer eigener Wahl zu gehen. D’Ieteren bot vom zweisitzigen Cabriolet bis zur achtsitzigen Limousine alles an, was gewünscht war – auch mit Kunstlederaufbauten. Auch die farbliche Zusammenstellung oblag dem Interessenten. So glichen keine zwei Autos sich in allen Details. Zudem war es zeitweise üblich, dass reiche Kunden eine offene Karosserie für den Sommer und eine geschlossene für den Winter orderten und diese zu Hause von ihren Chauffeuren tauschen ließen – so wie es heute mit Sommer- und Winterrädern bekannt ist. D’Ieteren entwickelte daher eine wandelbare Karosserie, deren Verglasung sich in einem seitlichen Fach zwischen den Türen verstauen ließ.

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Parallel zum Karosseriebau begann in den 1930er Jahren der Import von Fahrzeugen der Marken Studebaker, Pierce-Arrow und Auburn. Allerdings beschlossen diverse europäische Länder – darunter auch Belgien – bald darauf Strafzölle auf ausländische Neufahrzeuge, um den eigenen Binnenmarkt zu schützen. D’Ieteren konnte dies nur umgehen, indem man die US-Autos als CKD-Bausätze importierte und in Brüssel mit heimischen Produkten wie Scheinwerfergläsern, Polstern und Reifen komplettierte, wodurch es sich rechtlich um eine belgische Fertigung handelte. Nach dem Krieg entstand eine größere Fabrikation, um fortan Fahrzeuge der Marke Studebaker komplett in Belgien zu bauen. Dies geschah bis zum Untergang der Marke im Jahr 1967.

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Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1948 begann D’Ieteren damit, Volkswagen nach Belgien zu importieren. Zur umfassenden Sammlung der Gallery – die neben den rund 90 ausgestellten Autos noch rund 210 weitere beheimatet – gehören daher auch zahlreiche Fahrzeuge aus Wolfsburg, Emden und Hannover. Rund um ein originales Testtriebwerk entstand vor einigen Jahren der Nachbau eines VW 30, wie die Prototypenserie für den Käfer offiziell hieß. Bereits an diesem frühen Design kann man erkennen, was sich Ferdinand Porsche bei der Entwicklung gedacht hatte. Direkt daneben parkt ein früher Brezelfenster-Käfer, um die optische Verwandtschaft zu unterstreichen. Auch der T1-Bus und diverse Sport- und Rennwagen bauten auf dieser technischen Basis auf. Die Familie D’Ieteren trug in kleinem Rahmen zur Vielfalt bei, indem in Südamerika der Neretti 1 und der Neretti 2 entstanden. Letztlich blieb es bei einer Kleinstserie, da Volkswagen den Verkauf von nackten Chassis einstellte. Den Importeursvertrag erfüllt D’Ieteren jedoch bis heute und baute das Angebot immer weiter aus.

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Bereits kurz nach Volkswagen kam auch ein Vertriebsvertrag für Porsche hinzu. Auch diesen erfüllt D’Ieteren bis heute mit Begeisterung. Einige Raritäten aus Stuttgart-Zuffenhausen gehören natürlich zum Repertoire der Gallery. Neben einem 356 Speedster und einem 911 Carrera RS 2.7 sei hier beispielhaft ein Elva-Porsche genannt. Einige Exponate standen während unseres Besuches allerdings leihweise in der Autoworld Brüssel, da diese eine große Sonderausstellung zum Thema 75 Jahre Porsche Sportwagen zeigte. Dazu gehörte auch ein 356 Cabriolet mit Karosserie von D’Ieteren.

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Wenig überraschend ging es kurz darauf damit weiter, dass D’Ieteren auch die Marken Audi, DKW und NSU ins Portfolio aufnahm. In der Gallery stehen diverse Fahrzeuge, um die jeweiligen Markengeschichten zu untermauern. Diese stammen jedoch zumeist aus der Zeit bevor sie durch D’Ieteren als Neufahrzeuge angeboten wurden. Dennoch ist auch dieser Bereich des Museums sehenswert. Vor 20 Jahren ließ D’Ieteren zudem gemeinsam mit Audi eine Auflage von drei Exemplaren des Wanderer W25 Stromlinie nachbauen. Die Originale nahmen 1931 an der internationalen Fernfahrt Lüttich-Rom-Lüttich teil, wo sie nach mehr als 100 Stunden Fahrtzeit (nur unterbrochen für Tankstopps) den begehrten Konstrukteurspokal für die Auto Union einfahren konnten. Nur rund ein Viertel dieser Fahrtzeit ist im Beetle Fun Cup abzuleisten. Bei Langstreckenveranstaltungen wie dem 25-Stunden-Rennen in Spa-Francorchamps geht es mit bis zu 130 Autos, die optisch an den VW Käfer erinnern, hauptsächlich um den Spaß und weniger um Meisterschaften.

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Im Verlauf der letzten 40 Jahre kamen zum Portfolio der D’Ieteren Group noch Seat, Skoda, Bentley, Lamborghini und Bugatti hinzu. Heute kümmert sich der belgische Konzern zudem um Fahrzeuge von Microlino und weitere sowie um Motorräder von Yamaha, MBK und Piatti. Bereits 1956 führte der Konzern das Konzept von Leihfahrzeugen in Belgien ein und lizensierte ab 1958 die Firma Avis damit – eine Firma, die man 1989 größtenteils übernahm und 2011 wieder verkaufte. Belron, die Mutterfirma von Carglass, kam 1999 zum Konzern dazu. Moleskine, eine weltweit bekannte Lifestyle-Marke, gehört seit 2016 zu D’Ieteren. Die Gallery kann nach Terminabsprache über die Webseite der D’Ieteren Group besichtigt werden.

Bilder: Matthias Kierse