Normalerweise stehen in Oldtimer-Museen auf Hochglanz polierte Fahrzeuge. Diese entsprechen dank jahrzehntelanger Pflege oder umfangreicher Restaurierung dabei oftmals dem Auslieferungszustand. Diese Art der Normalität findet man in der Halle77 in Dortmund indes nicht. Stattdessen zeigt Begründer Marco Degenhardt mit seinem Team hier bewusst Alltagsklassiker der 1970er bis 1990er Jahre, gern auch mit zeittypischem Tuning. Viele der ausgestellten Autos stehen zudem zum Verkauf, was am Hintergrund der Firma liegt. Eigentlich betrieb Marco Degenhardt einen typischen Gebrauchtwagenhandel. Mit den modernen Fahrzeugen und ihren elektrischen Helferlein, die gern zu Problemfällen werden, konnte er sich jedoch zunehmend weniger anfreunden.
Da traf es sich gut, dass Degenhardt laut eigener Angabe innerlich eh in den 1990er Jahren „hängen geblieben“ ist. Für ihn stellen die damals entstandenen Autos Höhepunkte dar. Fahrzeuge seiner Kindheit in den späten 70ern und frühen 80ern findet er sowieso sympathisch und interessant. Was lag also näher, als die Geschäftstätigkeit in diese Ära zu verlagern? Allerdings ist es für Autohändler in der EU inzwischen ein schwieriges Geschäft, mit günstigen Klassikern zu handeln. Gewährleistungsrecht und Käuferansichten entsprechen selten den wirklichen Tatsachen. Ein über 20 Jahre altes Auto kann eben auch Überraschungen verbergen, die selbst ein ordentlicher Check in einer Werkstatt eventuell nicht aufdecken kann. In einen Motor hineinschauen ist dabei seltene Praxis – und selbst wenn dort alles in Ordnung ist, bleiben noch Getriebe, Differenzial und der Kupferwurm im Kabelbaum.
Marco Degenhardt machte aus der Pflicht eine Kür und begründete seine Halle77 (benannt nach seinem Geburtsjahr) und machte sie zum privaten Museum. So können Besucher diverse einst alltäglich im Straßenbild sichtbare Fahrzeuge in der Ausstellung betrachten – und auf Wunsch eine Kaufanfrage stellen. Neben dem Museumsbetrieb begann das Team der Halle77 damit, einen YouTube-Kanal mit allerlei Videos über die verschiedenen Autos zu füllen. Da Marco Degenhardt ursprünglich aus der Drag-Racing-Szene kommt und dort mit seinen getunten Audi-5-Zylinder-Modellen bekannt war, lief dieser Kanal anfänglich unter dem Namen „5-Zylinder-Marco“. Schnell verlagerte sich das Geschehen jedoch auf alle Exponate, die im Laufe der Zeit durch das Museum durchrollten. Ein von seinem leider verstorbenen Rennkollegen „Jaco“ übernommener Leistungsprüfstand spielt dabei ebenfalls immer wieder eine tragende Rolle. Inzwischen erhielt der YouTube-Kanal eine Umbenennung in „Halle77 Dortmund“ und hat bereits über 412.000 Abonnenten.
Spätestens die breite Präsenz über YouTube sorgte auch dafür, dass der Halle77 inzwischen aus allen Ecken der Republik interessante Klassiker angeboten werden. So erlebt das Team gemeinsam mit Marco immer wieder Neues. Beispielsweise rückte man jüngst der Technik eines NSU Ro 80 mit Wankelmotor zuleibe oder restaurierte auch schon einen Daihatsu Charade Turbo. Gleichzeitig füllt die „Community“, wie Marco Degenhardt seine Follower auf YouTube und in weiteren sozialen Netzwerken nennt, das Museum mit immer mehr Automobilia aus allen Jahrzehnten. Vom Luftdruckprüfer aus den 50ern bis hin zum Verbandskasten aus Vorkriegstagen oder Autoradios der 70er – hier finden Fans einfach alles.
Die Gestaltung der Wände und Regale übernimmt Marcos langjährige Lebensgefährtin Nadine. Sie ist zudem für die Gestaltung der allermeisten Artikel zuständig, die es im Museumsshop käuflich zu erwerben gibt. Neben T-Shirts, Pullovern und Hoodies gehören auch Kühlschrankmagnete zu den Bestsellern. Ihre liebevollen Arrangements im Museumsbereich hauchen der Halle77 den Hauch Leben ein, den eine nackte Industriehalle niemals bieten könnte. Gemeinsam mit Marco war sie auch an einem besonderen Bereich beteiligt, der quasi einen Scheunenfund nachbildet. Hier stehen die beiden ältesten Exponate, zwei alte Opel, unter alten Holzdielen. Darüber befindet sich ein kleiner nicht-öffentlicher Bereich, den die Halle77 als 70er-Jahre-Wohnzimmer für Livestreams hergerichtet hat.
Selbst außen vor der Halle stehen diverse Klassiker. Das Team der Halle77 hat überdies im Großraum Dortmund noch einige weitere Garagen und Hallen angemietet, die als Außenlager dienen. Ein stetiger Austausch der Exponate sorgt dafür, dass auch regelmäßige Besucher immer wieder Neues entdecken können. Eintritt verlangt Marco Degenhardt im übrigen nicht. Wer möchte, darf jedoch gern eine Spende abgeben oder im Shop den eigenen Kleiderschrank erweitern.
Bilder: Matthias Kierse