Nichts bleibt, wie es war. Und nichts wird je wieder so sein, wie es gestern noch war. Gestern hatte ich noch einen Fan, der zugleich mein größter (konstruktiver) Kritiker war. Er hatte meine Telefonnummer und wenn ich einmal in einem Text ein Komma vergessen oder Wechstaben verbuchselt hatte, klingelte mein Apparat. Mit einem launigen Spruch gab es einen Hinweis auf Artikel und Stelle, die verbessert werden sollten. Doch dieser Fan hat noch soviel mehr für mich getan. Ihm verdanke ich, dass ich die Grundzüge der Fotografie beherrsche. Er hat mich von frühester Kindheit an in meinem Spleen für Autos unterstützt und auch aus eigenem Interesse Automessen und andere Veranstaltungen rund ums vierrädrige Thema mit mir angesteuert.
Dabei war es völlig unerheblich, ob es sich dabei um ein lokales Oldtimertreffen, die Techno Classica in Essen, den Oldtimer Grand Prix am Nürburgring oder ein schönes Automuseum handelte. Vielleicht steckte dieser Fan nicht so tief in der Materie wie ich, aber gut geformtes Blech fand er auf jeden Fall auch toll. Seine persönlichen Lieblingsautos waren der Lamborghini Miura und der BMW 507. Beide haben wir zusammen auf diversen Events vor die Kamera bekommen. Doch auch Raritäten aus aller Herren Länder konnten ihn begeistern. Zudem interessierte ihn berufsbedingt die Architektur der Messe- oder Ausstellungshallen.
Rund ums Jahr 2015 begannen dunkle Wolken am Horizont aufzuziehen. Während einer Kur erhielt mein Fan die Diagnose „Multiples Myelom“. Ich bin medizinisch nicht sehr bewandert, aber aus dem heraus, was ich verstanden habe, handelt es sich um eine Mischform aus Knochen- und Blutkrebs. Prognose: nicht heilbar, nicht zu stoppen. Trotzdem gab es ein kleines Licht am Ende des Tunnels, das mittels einer besonderen Therapieform zumindest 20 Prozent Restwahrscheinlichkeit auf einen Aufschub der Krankheit bot. Diesen Strohhalm ergriff mein Fan mit beiden Händen und nahm noch die Beine mit dazu. Und siehe da, es funktionierte. Trotz heftiger Dosen gewisser Medikamente ging es ihm während der Behandlung bestens. Erst einige Wochen später stellten sich leichte Nebenwirkungen in Form von Haarausfall ein. Dafür konnten die Ärzte die neuen Werte ihrer Tests kaum glauben: Keine bedenklichen Ausschläge in den krebsrelevanten Bereichen mehr.
Leider blieb eine andere Nebenwirkung zurück, die es meinem Fan fast unmöglich machte, weitere Autoveranstaltungen oder auch andere Events zu besuchen. In den Füßen stellten sich Nervenfehlempfindungen ein, die es ihm an manchen Tagen nicht ermöglichten, genau zu lokalisieren, wo der Fuß beginnt und aufhört oder wie der Boden unter dem Fuß beschaffen war. Trotzdem wollte er weiterhin unser gemeinsames Hobby, das bei mir inzwischen zur Arbeit geworden war, fortführen. 2018 nahm ich ihn noch einmal mit auf die Techno Classica in Essen. Doch er musste selbst für sich eingestehen, dass Messebesuche für seinen Zustand zu anstrengend waren, was ihm keinesfalls leicht gefallen ist. Er verlegte sich fortan darauf, jeden meiner Artikel zu lesen. Und ich meine damit „jeden“. Selbst Themen, die ihn eigentlich überhaupt nicht interessierten, las er bis zur letzten Zeile. Wie bereits oben angedeutet: Fand er dabei einen Fehler, griff er zum Telefon und bei mir erschallten nach dem Abheben die mir wohl vertrauten Worte: „Hier spricht dein Vater.“
Im Herbst 2022 begannen die Krebswerte dann doch wieder in beängstigendem Maße in die falsche Richtung auszuschlagen. Damit einher ging eine spürbare Verschlechterung seines Allgemeinzustandes. Trotzdem war er guten Mutes, als die Ärzte eine neue Therapie vorschlugen. Er war der Meinung, dass er diese ähnlich gut vertragen würde, wie die vorherige. Als wir uns im November trafen, um seinen Geburtstag nachzufeiern, erzählte er davon, was er noch so für Pläne hätte und wir gingen gemeinsam spazieren. Es sollte unser letzter Spaziergang sein. Eine halbe Woche später begann er mit der Therapie und damit seinen letzten Kampf. Die Medikamente und der Krebs setzten ihn so schnell schachmatt, dass es für mich aus der Entfernung und via Telefon kaum zu glauben war. An Weihnachten blickte ich auf eine Person, die mir als Fan und Kritiker vielfach den Rücken gestärkt hatte und die nun selbst auf soviel Hilfe angewiesen war, dass sie es in der Schnelligkeit selbst kaum begreifen konnte. Gestern, am 11.01.2023, siegte schließlich der Krebs. Meine Frau und ich kamen 30 Minuten zu spät, um ihn noch lebend anzutreffen. Allerdings war er wohl bereits die letzten zwei Tage nicht mehr wirklich ansprechbar, womit es fraglich ist, ob er uns noch wahrgenommen hätte. So bleibt er mir als friedlich schlafende Person im Gedächtnis. Hinzu kommen die vielen schönen Erinnerungen, von denen ich vielfach leider keine Bilder habe. Aber es tut unendlich weh, zu wissen, dass mein größter Fan meine Artikel nun nicht mehr kommentieren wird.
Danke Papa. Danke für alles. Und als Christ füge ich hinzu: Wir sehen uns eines Tages wieder.