Mercedes-Benz W 25 Stromlinie

Aus Sicht der heutigen Zeit, in der versucht wird mittels guter Aerodynamik bestmögliche Reichweiten und Verbrauchswerte zu erzielen, mag es erstaunlich klingen, dass der Luftwiderstand vor 90 Jahren noch ein Mysterium im Automobilbau war. Andererseits muss man sich nur vor Augen führen, dass in dieser Ära erst langsam entdeckt wurde, dass der menschliche Körper Geschwindigkeiten über 200 km/h aushalten kann. Hierzu galt es, diverse ärztliche Bedenken zu überwinden. Ebenso erhielten Ingenieure durch die aufkommende Luftfahrt mit immer neuen Flugzeugkonstruktionen neue Einblicke in die Auswirkung des Fahrtwindes und mögliche Verbesserungen der Karosserieform. Der Volksmund taufte entsprechende neuartige Konstruktionen ehrfurchtsvoll als „Stromlinie“. Ein breites Betätigungsfeld, um aerodynamische Aufbauten auszuprobieren, bot der Rennsport.

Mercedes-Benz W 25 Stromlinie beim AVUS-Rennen 1937 (#36 – Manfred von Brauchitsch, #37 – Hermann Lang) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch, #34 – Rudolf Hasse (Auto Union), #33 – Luigi Fagioli (Auto Union Stromlinie) und #37 – Hermann Lang (v.r.n.l.)) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch) – Quelle: Mercedes-Benz

Mercedes-Benz war neben der Auto Union stark bei Grand-Prix-Rennen beteiligt. Für das AVUS-Rennen 1937 konstruierte man in Stuttgart drei Exemplare des bereits seit 1934 genutzten W 25 mit neuartigen Stromlinienkarosserien. Neben der fast schon organischen Form fallen die fast vollständig verkleideten Räder in den gewölbten Kotflügeln ins Auge. Obwohl sich die drei Fahrzeuge optisch sehr ähnelten, gab es technische Unterschiede. Zwei Exemplare hatten einen 5,7-Liter-Achtzylinder-Reihenmotor hinter der Vorderachse verbaut. Den dritten Wagen mit einem 5,6-Liter-V12 erhielt Manfred von Brauchitsch. Im Gegensatz zu heutigen Grand Prixs gab es damals nicht nur ein, sondern sogar drei Rennen pro Wochenende. Den ersten Vorlauf gewann Rudolf Caracciola, den zweiten Manfred von Brauchitsch. Im Hauptrennen setzte sich schließlich Hermann Lang im dritten Stomlinien-W-25 durch. Richard Seaman in einem klassischen W 125 mit freistehenden Rädern konnte nicht mithalten.

Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch) – Quelle: Mercedes-Benz

Auf den langen Geraden der AVUS erreichte der Mercedes-Benz W 25 Stromlinie Geschwindigkeiten rund um 380 km/h. Selbst in der neu erbauten, steil überhöhten Nordkurve lagen immer noch 370 km/h an. Ein Jahr zuvor kam der normale W 25 mit offenen Rädern an gleicher Stelle mit Mühe auf 300 km/h. Das Rennfahrzeug für das Jahr 1937 war nicht der erste Stromlinienwagen von Mercedes-Benz. Bereits 1932 startete Manfred von Brauchitsch beim AVUS-Rennen mit einem privat eingesetzten Mercedes-Benz SSKL, der über eine innovative Stromlinienkarosserie des Aerodynamikpioniers Reinhard von Koenig-Fachsenfeld verfügte. 1934 entstand im Sindelfinger Werk auf Vorschlag von Rudolf Caracciola die „Rennlimousine“ auf Basis des W 25, die anstelle des offenen Cockpits eine verglaste Haube wie bei einem Jagdflugzeug aufwies. Caratsch, wie Fans ihn nannten, unternahm mit diesem Auto einige Rekordfahrten auf der AVUS und trat damit das deutsche Rekordfieber los. Es führte zu weiteren Geschwindigkeitsrekordfahrten auf der abgesperrten Autobahn zwischen Darmstadt und Frankfurt. Am 26. Oktober und 11. November 1936 rollte hier ein W 25 mit aerodynamisch optimierter Karosserie an die Startlinie. Rudolf Caracciola erzielte fünf internationale Klassenrekorde und einen Weltrekord. Basierend auf diesem Rekordauto mit V12-Triebwerk entstand 1937 der Stromlinienrennwagen für Manfred von Brauchitsch.

Mercedes-Benz W 25 – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 „Rennlimousine“ (1934) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinien-Rekordwagen (1936) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinie (#36 – Manfred von Brauchitsch) – Quelle: Mercedes-Benz

Dass die Stromlinienkarosserie 1936 noch nicht ausgereift war, lässt sich anhand der erhalten gebliebenen Archivbilder von Mercedes-Benz klar erkennen. Wie heute mussten damals Fahrten in beide Fahrtrichtungen binnen einer Frist von einer Stunde erfolgen, um Rekorde zu erzielen. Beim Mercedes-Benz W 25 von Rudolf Caracciola war die Aluminiumstruktur oberhalb der Kühlluftöffnung offenbar zu dünn, denn sie dellte sich durch den Fahrtwind ein. Die Formgebung hatte Mercedes-Benz zuvor im Windkanal in Friedrichshafen (einem der ersten in Deutschland) erprobt. Für das AVUS-Rennen 1937 erhielt die Karosserie deutliche Modifikationen. Beibehalten wurde allerdings die mit zwei Scharnieren an der Front befestigte Haube, die nur den Fahrerkopf freiließ. Drei im Winkel zueinander angebrachte kleine Scheiben schützten ihn vor dem Fahrtwind. Rund 20 Jahre nach dem Einsatz des W 25 Stromlinie an der AVUS erinnerten sich einige Ingenieure an diesen Erfolg. Sie entwickelten eine ähnliche Karosserie für den 1954 in der Formel 1 eingesetzten W 196 R. Wieder gelang direkt beim Ersteinsatz, dem Grand Prix von Frankreich in Reims, ein Doppelsieg.

Rekordfahrten auf der Autobahn Frankfurt–Darmstadt am 11. November 1936 – Quelle: Mercedes-Benz
Rekordfahrten auf der Autobahn Frankfurt–Darmstadt am 11. November 1936 – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinien-Rekordwagen (1936) – Quelle: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz W 25 Stromlinien-Rekordwagen (1936) – Quelle: Mercedes-Benz