Automobile aus der Feder des Italo-Argentiniers Horacio Pagani gelten in der Fachwelt als Kunstwerke auf Rädern. Seit über 20 Jahren entstehen aus Carbon, Aluminium, Titan und Leder fantastische Supersportwagen wie der Zonda oder der Huayra im kleinen Örtchen San Cesario sul Panaro. Für die Weltpremiere des neuesten Modells namens Utopia erschien als Veranstaltungsstätte nichts passender, als das Teatro Lirico in Mailand. Zu Klängen einer Sinfonie von Vincenzo Parisi sowie Klavierwerken des jugendlichen Horacio Pagani, aufgeführt durch das Mailänder Sinfonie-Orchester, erhielten Kunden, Händler und Mitarbeiter von Pagani erstmals die Chance, den neuen Wagen in Augenschein zu nehmen.
Gestaltung und Entwicklung des Utopia liefen unter dem Projekttitel C10 bereits seit sechs Jahren. Wie bei den Vorgängermodellen war Firmengründer und -chef Horacio Pagani dabei die leitende Figur. Als Inspirationsquellen nutzte er zahlreiche automobile Designklassiker, aber auch markante Architektur und Bilder aus der Natur. Tausende von Zeichnungen entstanden, bevor erste 1:5-Modelle umgesetzt wurden. Davon gab es am Ende zehn verschiedene, ehe das beste Design auf zwei lebensgroße Tonmodelle vergrößert wurde. Durch die Mittelmotorbauweise, die konzeptionell von Anfang an feststand, ergeben sich ähnliche Proportionen wie beim Zonda und Huayra. Aus meinem direkten Umfeld war auch schon die enttäuschte Meinung zu hören: „Der neue Utopia sieht so aus, als hätte jemand versucht, einem Anderen per Telefon zu beschreiben, wie ein Pagani Zonda aussieht. Der Andere hat es aufgezeichnet und direkt in Produktion gegeben.“ Ganz so krass sehe ich das Ergebnis nicht, aber gestalterische Gemeinsamkeiten gibt es ohne Zweifel.
Während die Türen beim Zonda konventionell zur Seite öffneten und die des Huayra – zumindest beim Coupé – wie Möwenschwingen nach oben gingen, erhält der Utopia Scherentüren. Diese sind an der A-Säule unterhalb der Windschutzscheibe befestigt und drehen sich dadurch ein wenig im Öffnungsprozess. Front- und Heckhaube sind wie bei den Vorgängern großflächige Bauteile im Stil von Muschelschalen. Vorn findet man die je zwei Scheinwerferlinsen, die bereits seit den ersten Exemplaren des Zonda bekannt sind. Beim Utopia ist jede Linse aus einem vollen Aluminiumblock herausgefräst. Sie liegen unter einer Klarglasscheibe. In die knochenförmige Belüftungsöffnung oberhalb des Frontsplitters sind verschiedene Kanäle integriert, um gezielt Fahrtwind zu den Kühlern und den Bremsen zu leiten. Die Seitenschweller zeigen einen lateralen Einzug, der Luft unter dem Fahrzeug herauslässt und vor den Hinterrädern wieder Richtung Diffusor führt. Rund um die vier zentral angeordneten Auspuffendrohre zeichnete Pagani eine Ellypse, die im oberen Bereich aktive Aerodynamikelemente aufnimmt. Bei den Rückleuchten ließ man sich von Turbinen inspirieren. Ein besonderes Detail sind die vorn 21 und hinten 22 Zoll großen Felgen, die zentral die Bremsscheiben der Carbon-Keramik-Bremsanlage von Brembo ins Rampenlicht rücken und außen herum mit kleinen Luftleitelementen Stauluft aus den Radhäusern absaugen sollen. Verglichen mit dem Huayra reduzierte man die Gesamtanzahl der Karosseriekomponenten durch zielgerichtete Entwicklung am Computer um 20 Prozent.
In den letzten zwei Jahren waren drei Prototypen weltweit unterwegs, um das neue Triebwerk zu erproben. Es stammt erneut von Mercedes-AMG und wird exklusiv für Pagani produziert. Zwölf Zylinder, sechs Liter Hubraum und zwei Turbolader führen zu 635 kW/864 PS und 1.100 Newtonmetern Drehmoment. Das Drehzahllimit liegt bei 6.700 U/min. Hinter dem V12-Motor befindet sich ein Siebenganggetriebe von Xtrac mit spezifischer Abstimmung für den Utopia. Es ist je nach Kundenwunsch als manuelle oder automatisierte Variante verfügbar, wobei letztere per Schaltwippen Eingriffe erlaubt. Motor und Getriebe sitzen in einem Hilfsrohrrahmen aus Chrom-Molybdän-Stahl. Gleiches gilt für den vorderen Kofferraum nebst Radaufhängungen. Dazwischen erstreckt sich ein neu entwickeltes Monocoque-Chassis aus Kompositmaterialien wie Carbo-Titanium HP62 G2 und Carbo-Triax HP62. Dieses integriert in der Dachstruktur einen vollwertigen Überrollkäfig. Zugleich erhöhten die Ingenieure die Torsionssteifigkeit im Vergleich zum Huayra um 10,5 Prozent. Diverse Komponenten, die für die neue Elasto-Kinematik des Fahrwerks nötig sind, erprobte Pagani zuvor bereits im Huayra R. Sie bestehen aus einer geschmiedeten Aluminiumlegierung. Auf die semi-aktiven Dämpfer nehmen die Fahrmodi Einfluss und verstellen sie zwischen komfortabel auf der Straße und sportlich-straff auf der Rennstrecke.
Innen zeigt sich der neue Pagani Utopia im gewohnt luxuriösen Stil mit zahlreichen aus dem Vollen gefrästen Details. Dies gilt beispielsweise für das Lenkrad, das aus einem Aluminiumblock gefräst und dann an einigen Teilen mit Leder bezogen wird. In die seitlichen Speichen sind kleine Tasten integriert. Feinstes Leder wechselt sich im restlichen Interieur mit Aluminium und Carbon ab. Den Trend zu riesigen Displays geht Pagani nicht mit. Lediglich zwischen den beiden Rundinstrumenten hinter dem Lenkrad ist ein Display integriert, um die wichtigsten Fahrzeug- und Navigationsinformationen anzuzeigen. Vier weitere Rundinstrumente sind im oberen Bereich des Armaturenbretts untergebracht. Über den Passagieren sind zwei Glaseinsätze im Dach integriert, die zusätzliches Tageslicht hereinlassen. Interessanterweise bietet Pagani für den Utopia neben dem serienmäßigen Radsatz mit Reifen vom Typ Pirelli P Zero Corsa in den Dimensionen 265/35 R 21 und 325/30 R 22 auch einen Winterreifensatz vom Typ Pirelli SottoZero an. Ob jemals eines der 99 geplanten Exemplare winterliche Straßenverhältnisse erleben wird, darf jedoch bezweifelt werden. Um die globale Zulassung zu erhalten, unterzog Pagani den Utopia mehr als 50 verschiedenen Crashtests. Zum Grundpreis liegen noch keine Angaben vor.