Rolls-Royce 20 HP wird 100 Jahre alt

Exakt heute vor 100 Jahren, am 6. Oktober 1922, präsentierte Rolls-Royce den 20 HP, unter Fans schlicht als „Twenty“ bekannt. Bei diesem Modell handelte es sich um das erste fahrerorientierte Fahrzeug der Marke. Damit ist der Twenty der Urgroßvater der heutigen Modellreihen Ghost, Wraith, Dawn und Cullinan. Firmenmitgründer Sir Henry Royce war hauptverantwortlich für die Chassisentwicklung. Dabei griffen er und sein Team auf die Erfahrungen zurück, die man ab 1906 mit dem 40/50 HP gemacht hatte. Dieses Modell kennt man heute weltweit als „Silver Ghost“. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war dies die einzige Modellreihe im Portfolio. In den vier Kriegsjahren verlagerte Rolls-Royce die Produktion auf Militärgüter inklusive Flugmotoren und einer gepanzerten Variante des Silver Ghost. Doch Sir Royce antizipierte bereits, dass in der Nachkriegszeit ein kleineres Modell unterhalb des Silver Ghost benötigt würde – eines, das der Besitzer selbst fahren würde, da er sich unter Umständen den Chauffeur nicht mehr leisten könnte.

Rolls-Royce 20 HP mit Sir Henry Royce (1922) – Quelle: Rolls-Royce
Rolls-Royce 20 HP (1923) – Quelle: Rolls-Royce

Zusätzlich wollte Rolls-Royce mit diesem neuen Modell Überkapazitäten im Werk Derby auffangen, die aus der Kriegszeit stammten, als man zusätzliche Mitarbeiter eingestellt hatte. Mit inzwischen rund 8.000 Beschäftigten war man ab 1918 jedoch zu breit aufgestellt. Als Folge daraus reduzierte man die Anzahl auf etwa 2.000. Zwei Jahre später stimmte die restliche Firmenleitung von Rolls-Royce endlich den Bestrebungen von Sir Henry Royce zu und ließ ihn zusätzlich zum Chassis gleich das ganze Auto entwickeln. Das Fahrzeug sollte zwar kleiner sein, gleichzeitig jedoch keine Raffinesse der größeren Limousinen vermissen lassen. Am 6. Oktober 1922 war es schließlich soweit, der 20 HP debütierte mit einem 3,1 Liter großen Reihensechszylindermotor. Damit unterbot er den Silver Ghost erheblich, der einen 7,5 Liter großen Motor unter der Haube trug. Zudem lag das Gewicht des Twenty rund 30 Prozent niedriger. Der technische Vorsprung war hingegen überdeutlich, immerhin lagen zwischen der Entwicklung des 40/50 HP und des 20 HP volle 14 Jahre.

Rolls-Royce 20 HP (1924) – Quelle: Rolls-Royce
Rolls-Royce 20 HP (1928) – Quelle: Rolls-Royce

Wie so gut wie alle Luxusfahrzeuge der damaligen Zeit erhielten die Kunden ihren Rolls-Royce 20 HP ausschließlich als rollendes Fahrgestell. Die individuellen Aufbauten gab man parallel zur Bestellung des Chassis beim Karosseriebauer der eigenen Wahl in Auftrag. Während Sir Henry Royce seine Kundschaft darauf einschwor, leichte Selbstfahrautos zu bestellen, konnte er einige alte Gewohnheiten nicht abstellen. So bestellten diverse Twenty-Besitzer große Aufbauten, die viel Gewicht und Luftwiderstand mitbrachten. Auf diese Weise reduzierten sie natürlich auch die erwünschte Fahrdynamik. Sir Royce verstand schließlich, dass sich dieses Problem nur durch Leistungssteigerungen lösen ließe. 1929 debütierte der weiterentwickelte Nachfolger 20/25 HP, 1935 schließlich der 25/30 HP. Die Ära der PS-Zahl-Modelle endete 1938 mit der Einführung des Wraith. Vom Twenty entstanden zwischen 1922 und 1929 insgesamt 2.940 Exemplare. Das Reihensechszylinder-Triebwerk blieb mit diversen Modifikationen bis 1959 im Programm. Die Modellpolitik mit zwei unterschiedlich großen Baureihen behielt Rolls-Royce indes sogar bis 1992 bei.

Rolls-Royce 20 HP (1929) – Quelle: Rolls-Royce