Spyker 60 HP

Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, welches Automobil das weltweit erste mit Bremsen an allen vier Rädern war? Man nimmt es heute als selbstverständlich hin, dass alle Räder beim Druck auf das Bremspedal verzögert werden. Es gilt sogar schon als vorsintflutlich, wenn dabei an den hinteren Rädern noch Trommelbremsen zum Einsatz kommen. Wissen Sie denn, welches Auto als erstes einen Sechszylindermotor erhielt? Und das Ganze dann auch noch kombiniert mit einem Allradantrieb? Sie ahnen es schon, alle drei Fragen lassen sich auf ein einziges Auto reduzieren – und dessen Name steckt bereits in der Überschrift. Tatsächlich liegt die Fertigstellung des Spyker 60 HP bereits 119 Jahre zurück.

Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse
Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse
Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse

1901 begannen die Gebrüder Jacobus und Hendrik-Jan Spijker (der Firmenname wurde zugunsten einer besseren Aussprache im internationalen Wettbewerb mit einem „y“ geschrieben) mit ersten Entwicklungsarbeiten. Dabei wurden sie nach heutigem Wissensstand vermutlich vom französischen Ingenieur Emile Drourd unterstützt. Auf jeden Fall arbeitete man mit Joseph Laviolette zusammen, der bereits relativ weit entwickelte Pläne eines Sechszylindermotors mitbrachte. Er konstruierte einen Aluminium-Motorblock mit sechs in Reihe aufgesetzten Zylindern. Für den Antrieb der Ventile sah er zwei über Zahnräder angetriebene Nockenwellen vor. Durch eine Bohrung von 12 Zentimetern und einen Hub von 12,8 Zentimetern betrug der Gesamthubraum 8.676 Kubikzentimeter. Daraus resultierten die namensgebenden 60 PS. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war es, den Motorblock als tragendes Element im Chassis zu nutzen. Für die Kraftübertragung auf den Allradantrieb standen eine Lederkonuskupplung und ein Dreigang-Getriebe mit integriertem Differenzial zur Verfügung. Zwei weitere Differenziale sorgten für den Drehzahlausgleich an den Achsen. Für die Verzögerung sorgten Trommelbremsen an den Hinterrädern und eine Kardanbremse, die alle vier Räder abbremste. Ursprünglich strebte Spyker eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h an. Erreicht wurden laut Zeitzeugen jedoch lediglich 75 km/h.

Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse
Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse
Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse

Geplant war zudem, den Spyker 60 HP beim großen Autorennen von Paris nach Madrid im Jahr 1903 einzusetzen. Allerdings wurde das Fahrzeug offenbar nicht rechtzeitig fertig. Stattdessen präsentierte der niederländische Hersteller das nackte Fahrgestell des 60 HP auf dem Pariser Autosalon im Dezember 1903. Im Folgejahr stand das fertiggestellte Auto mit einem Rennwagenaufbau auf der Motor Show im Londoner Crystal Palace. Diese Karosserie trägt der Spyker bis heute. 1907 nahm das Auto mit Testfahrer Emile Hautekeet am Steuer an einem Bergrennen in der Nähe von Birmingham teil und schloss mit dem Gesamtsieg ab. Weitere Renneinsätze sind nicht bekannt.

Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse
Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse
Spyker 60 HP – Bild: Matthias Kierse

Nach der Insolvenz der Marke Spyker im Jahr 1925 behielt ein ehemaliger Mitarbeiter den 60 HP und gab ihn 1953 als Leihgabe ans Automobilmuseum Driebergen. 1964 erwarb Max Lips das Unikat für das Museum Rosmalen. Seit 1993 ist er ein Bestandteil der Sammlung von Familie Louwman und wurde fünf Jahre lang umfangreich in den Originalzustand restauriert. Seither wird das Auto im Louwman Museum ausgestellt. Dort konnte ich den außergewöhnlichen Spyker 2010 und vor wenigen Tagen in Augenschein nehmen.