Wenn Rennsportfans über die „Gruppe-B-Ära“ reden, meinen sie zumeist die wilden Zeiten des Rallyesports Anfang und Mitte der 1980er Jahre. Gern vergessen wird dabei, dass es diese Kategorie der Motorsportbehörde FIA auch für Rundstreckenrennen geben sollte. Dabei sollten die gleichen Grundbedingungen gelten, also eine Mindestanzahl von 200 straßenzugelassenen Autos für Privatkunden und je 20 weitere für jede Evolutionsstufe. Tatsächlich zeigten sich von Anfang an zwei Autohersteller sehr interessiert: Porsche und Ferrari. In Stuttgart Zuffenhausen arbeitete man entsprechend intensiv am 959 als erstem Serien-Porsche mit Allradantrieb. Dieser sollte beide Gruppe-B-Kategorien bedienen können. Letztlich schaffte er es auch sowohl auf die Rundstrecke, als auch auf unwegsame Rallyepisten – aber anders als gedacht. Aus der Sportwagenrennserie wurde nie etwas und der vom 959 direkt abgeleitete 961 konnte lediglich in der GTP (Grand Touring Prototypes) Kategorie antreten. Die Rallyeversion kam für Einsätze in der Rallye-Weltmeisterschaft zu spät – die Gruppe B wurde 1986 nach mehreren schweren Unfällen für die Folgezeit verboten. Stattdessen konnte Porsche den Wagen nur noch bei Langstreckenrallyes wie der Paris-Dakar einsetzen. Allerdings soll es in diesem Artikel laut Überschrift nicht um Porsche, sondern um einen Ferrari gehen. Den Kollegen in Maranello erging es tatsächlich noch schlechter als denen in Süd-Deutschland.
Man mag es kaum glauben, aber auch Ferrari war durchaus daran interessiert, den Rallyesport ein wenig aufzumischen. Hierzu muss man sich vor Augen führen, dass vor der Premiere des Audi quattro Fahrzeuge mit Allradantrieb nicht zugelassen waren. Daher hatten Konzepte wie der Lancia Stratos oder der Opel Ascona B 400, mit dem Walter Röhrl Weltmeister wurde, überhaupt eine Chance. In Maranello hatte man erst versucht, den 308 zu homologieren. Dies verbot das Gruppe-B-Reglement jedoch, da es nur geringe Modifikationen zwischen Serienauto und Rennfahrzeug zuließ. Aus diesem Grund entwickelte Ferrari auf der Grundbasis des 308 den 288 GTO mit einem 2,9 Liter großen V8-Biturbomotor und einem um elf Zentimeter verlängerten Radstand. Seine Weltpremiere als Straßenfahrzeug fand 1984 auf dem Genfer Automobilsalon statt. Zur Erfüllung der Homologationsregeln mussten alle Hersteller mindestens 200 fertig montierte Autos nachweisen. Dies dauerte bei Ferrari bis zum 1. Juni 1985. Zugleich liefen hinter den Kulissen bereits Weiterentwicklungen ab, da Ferrari erkannt hatte, dass man gegen die inzwischen üblichen Allradautos auf den Rallyepisten keinen Stich landen würde. Entsprechend orientierte man sich in Richtung der Rundstreckenauslegung des Reglements und erarbeitete gemeinsam mit Michelotto den 288 GTO Evoluzione. Von diesem hätte man zur Homologation laut Regelwerk nur 20 Stück gebraucht – doch er kam zu spät. Als der Evoluzione 1986 auf seinen Rädern stand, hatte die FIA die Gruppe B bereits eingemottet.
Eigentlich schade, wenn man sich das Fahrzeug aus heutiger Sicht einmal näher ansieht. Natürlich gewinnt der 288 GTO Evoluzione keinen Schönheitspreis. Das gilt jedoch in gleichem Maße für die allermeisten Renn- und Rallyefahrzeuge. Die Form folgt unweigerlich der Funktion. Entsprechend viele Be- und Entlüftungsöffnungen finden sich an diesem Ferrari. Für die Gestaltung der Karosserie zeichnete wie so oft Pininfarina verantwortlich. Sie besteht aus Kevlar und Fiberglas-Kunststoff. Auf der riesigen Heckklappe sitzt ein Flügel aus Kohlefaser. Konsequenter Leichtbau führte zu einem fahrfertigen Leergewicht von lediglich 940 Kilogramm. Unter der hinteren Haube fand sich eine Ausbaustufe des oben genannten V8-Biturbomotors mit rund 650 PS Spitzenleistung. Als Höchstgeschwindigkeit standen sehr selbstbewusste 370 km/h im Datenblatt. Ob einer der insgesamt sechs gebauten 288 GTO Evoluzione jemals diesen Wert erreicht hat, bleibt zweifelhaft. Während ein Exemplar im Werksbesitz verblieb, verkaufte Ferrari die restlichen fünf an VIP-Kunden in aller Welt. Das Werksauto nutzte man in der Folgezeit für Entwicklungsarbeiten des ersten offiziellen Supersportwagens der Marke, dem F40.
Chassisnummer 79888 entstand 1988 und ging nach der Fertigstellung im Dezember des gleichen Jahres über den Händler Garage Francorchamps in Belgien an den Rennfahrer Jean Blaton. Der erfolgreiche Geschäftsmann nahm in den 1950er, ’60er und ’70er Jahren an vielen Rennveranstaltungen unter seinem Pseudonym „Beurlys“ teil. Unter anderem startete er insgesamt 15-mal bei den 24 Stunden von Le Mans, davon 11-mal am Steuer eines Ferrari. Seinen 288 GTO Evoluzione nutzte er hingegen mangels Homologation nicht mehr für Renneinsätze. 1992 verkaufte er das Auto an Jacques Swaters, den Besitzer der Garage Francorchamps, der es bis 2006 behielt. Daraufhin folgte eine kurze Zeit bei einem britischen Sammler und schließlich ein Umzug nach Kanada in die Garage des heutigen Chefs von Aston Martin, Lawrence Stroll. Der Milliardär verfügte zeitweise über eine der beeindruckendsten Ferrari-Sammlungen weltweit. 2013 verkaufte er jedoch den 288 GTO Evoluzione an den US-Sammler Rick White weiter. Im Folgejahr gab es zwei weitere Besitzerwechsel und der Wagen landete schließlich bei David Raisbeck, der in Minnesota eine Straßenzulassung erreichte. Seit 2019 ist der Ferrari zurück in Europa, wo er nun in einer Online-Auktion mit geschlossenem Käuferkreis über das Auktionshaus RM Sotheby’s angeboten wird.